Köln wählt (oder auch nicht)

Zur Zeit wird jede Menge Spott über die Stadt Köln ausgeschüttet – verantwortlich dafür ist dieses Mal nicht der FC, sondern die Stimmzettel-Panne im Vorfeld der eigentlich für den 13. September angesetzten Oberbürgermeister-Wahl. Nicht allein Pressestimmen aus Düsseldorf beschrieben hämisch die Ereignisse in der Domstadt, auch überregionale Medien äußerten Unverständnis und Kritik, manche Beiträge zogen Parallelen zu anderen gescheiterten Großprojekten wie der U-Bahn-Erweiterung und der Sanierung der Oper. (Update: Einen guten Einstieg liefert die Twitter-Suche nach dem Hashtag #OBWahl.)

Der eigentliche „Fall“ – eine Ungleichbehandlung der Kandidaten durch die Gestaltung des Stimmzettels – ist an verschiedenen Stellen vorgestellt und diskutiert worden, vgl. dazu etwa die Themensammlung des Kölner Stadtanzeiger, den Beitrag des WDR,  oder den Bericht in der Süddeutschen Zeitung. Als Hauptleidtragende gilt die parteilose Kandidatin Henriette Reker, deren Name in kleiner Schrift an sechster Stelle aufgeführt war, während ihr Konkurrent Jochen Ott nicht nur die prominente erste Tabellenzeile belegt, sondern zudem „Unterstützung“ eines großen SPD-Schriftzuges erhält. Nun kann man darüber streiten, ob Parteien bzw. deren Namen derzeit tatsächlich positive Wirkungen auf die Kampagnen von Direktkandidaten haben, doch als neutral ist die „Aufmerksamkeitslenkung“ durch das Kölner Wahlzettel-Design gewiss nicht zu bezeichnen. Und genau dies hat offenbar genügt, um nach einer Prüfung der Regularien in der Kommunalwahlverordnung die Wahl vorerst zu verschieben.

Anders als in den meisten Artikeln zu lesen war, regelt Anlage 17c der KWahlO nicht etwa die Schriftgröße einzelner Einträge auf dem Stimmzettel – es handelt sich lediglich um ein Musterformular, das als Layout-Vorschlag verstanden werden kann. Und in der Tat weist die typografische Umsetzung des Stimmzettels durchaus starke Unterschiede zum ursprünglichen Entwurf auf – kein Wunder, denn die Kommunalwahlverordnung trägt als Erstellungsdatum den 31. August 1993 und wurde seitdem kontinuierlich aktualisiert. Von den Modernisierungen bislang ausgenommen scheinen jedoch die Anlagen mit den Muster-Stimmzetteln, Vorlagen für Wahlschein und Wahlbrief oder Formularen zur Stimmenauszählung.

So weit so gut schlecht, und man könnte nun wahlweise in das Wehklagen über die Unfähigkeit der Kölner Wahlbehörden, der Kurzsichtigkeit von Sachbearbeiter/innen und die unklaren Konsequenzen der Stimmzettel-Posse (wahlweise auch: Ärger, Chaos, Debakel) einstimmen. Oder sich über die vielen Online-Reaktionen amüsieren, die verlässlich aus den unterschiedlichsten Winkeln des Netzes angespült werden. Vorschläge zur Verlegung der Wahl auf den 11.11. gehören dabei noch zu den zahmeren Kommentaren…

Man könnte allerdings auch die Aufmerksamkeit auf zwei strukturelle Defizite der Wahlorganisation in Deutschland lenken, denn die Kölner Probleme sind keine lokale Besonderheit. Erstens wirft die Stimmzettel-Affäre ein Licht auf die formale Organisation und Durchführung politischer Wahlen und zweitens gerät einmal mehr die Praxis der Briefwahl in den Blick. Letztere ist im aktuellen Fall das geringere Übel: faktisch liefern die bereits abgegebenen Stimmzettel zwar den Auslöser für eine mögliche Anfechtung der Wahl, denn der Nachdruck „verbesserter Stimmzettel“ hätte unterschiedliche Abstimmungssituationen für Kandidaten und Wähler herbeigeführt. Letztlich hätte dies wohl zu einer gerichtlichen Überprüfung der Wahl geführt, mit dem Hinweis auf die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes.

Noch interessanter erscheinen mir jedoch die Aspekte der Wahlorganisation und -durchführung. Der Kölner Fall macht deutlich, dass die deutsche Variante einer Teilzeit-Aufgabe als Wahlleitung nicht gerade zu einer Professionalisierung in einer demokratischen Kerndisziplin führt. Die Übernahme des Wahlleiter-Postens erfolgt in der Regel als Nebenbei-Beschäftigung, das gilt nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf Landes- oder Bundesebene. Agnes Klein, die jetzt in der Kritik stehende Wahlleiterin der Stadt Köln, leitet im Hauptberuf das Dezernat IV (Jugend, Bildung, Sport) der Kölner Stadtverwaltung. (Bundeswahlleiter Roderich Egeler ist in erster Linie Präsident des Statistischen Bundesamtes). (Update: Die politischen Verflechtungen zwischen Behörden, Parteien und Kandidaten wurden bislang recht selten thematisiert. Kurz erwähnt wird die Situation im WDR5-Kommentar Der Nubbel war´s von Lothar Lenz und dem Stadtrevue-Beitrag Manöver für Kurzsichtige von Christian Werthschulte.)

Darüber hinaus verfügen die Wahlleitungen nicht über einen signifikanten Etat zur Qualitätssicherung und erst recht nicht zur Modernisierung der Wahlhandlungen – die „antike“ Stimmzettelvorlage aus den 1990er Jahren ist nur eines von zahlreichen Beispielen für dieses strukturelle Defizit. Als man in Hamburg im Jahr 2008 versucht hatte, die Bürgerschaftswahl mit einem Digitalen Wahlstift durchzuführen, geriet die Hansestadt in einen Strudel des Scheiterns, der am Ende weit kostspieliger war, als es die Neuansetzung der Kölner OB-Wahl sein wird (erste Berechnungen taxieren den Preis der Verschiebung auf ca. eine Million Euro). Auch in Hamburg wurde seinerzeit deutlich, dass die schwache Stellung und die geringen Ressourcen der zuständigen Wahlbehörde eine wirksame Modernisierung von Wahlen nicht gewährleisten können. In den Fokus der Öffentlichkeit geraten die Organisationsprobleme der Wahlbürokratie nur selten – zu grell erscheinen in der medialen Debatte die vordergründigen Probleme mit falschen Stimmzetteln, fehlenden Wahlurnen oder (zumindest vor einigen Jahren) der Manipulierbarkeit von Wahlcomputern.

Daher ist eine substanzielle Debatte um die formale Organisation politischer Wahlen in Deutschland notwendig – einen Anschlusspunkt liefert der im internationalen Diskurs verwendete Begriff des Electoral Management Body (EMB), der die Regeln und Strukturen der Wahlorganisation innerhalb politischer Systeme beschreibt. Das in Deutschland gängige Modell einer regierungs- bzw. behördengebundenen Wahlorganisation (Government Model) weist deutliche Nachteile gegenüber unabhängigen Wahlkommissionen oder Wahlgerichten (Independent Model) auf. Auch Mischmodelle aus beiden Varianten verfügen i.d.R. über größere Ressourcen zur Durchführung, Beobachtung und Entwicklung von Wahlen; insbesondere für  technische Modernisierungsprozesse (und dazu zählt auch die Aktualisierung einer Stimmzettelvorlage aus den 1990er Jahren) scheinen regierungsunabhängige Varianten der Wahlorganisation besonders geeignet zu sein.

Vielleicht werden die Ereignisse in Köln ja zu einem Auslöser für ein – allmähliches – Umdenken in Fragen der Wahlorganisation, besonders wahrscheinlich ist dies jedoch nicht. Und schließlich sollten auch Politik- und Verwaltungswissenschaft diesem Feld ein größeres Interesse beimessen, denn so wie es kaum eine genuine „Briefwahlforschung“ gibt, ist auch die Zahl der Studien, die sich mit Theorie und Praxis der Wahlorganisation befassen, mehr als überschaubar.

Ergänzungen:

Über die Facebook-Seite von Politik in Köln liegen einige ältere Wahlzettel zur Einsicht aus (vgl. auch die Verordnung zur Änderung der KWahlO). Dabei hat es den Anschein, als hätten auch die Unterlagen von 2009 einer Überprüfung nicht standgehalten. Allerdings gab es damals keine Einzelbewerber ohne Parteianbindung, so dass der fehlerhafte Stimmzettel nicht für Aufregung sorgte. An der These einer „schwachen Wahlorganisation“ ändert dies nichts.

Eine Antwort to “Köln wählt (oder auch nicht)”

  1. Warum Köln (trotz allem) eine tolle Stadt ist | Matzes Blog Says:

    […] (Auf den vermutlichen Kern des Problems, dessen Auswirkungen in Köln anscheinend regelmäßig besonders deutlich werden, weist Christoph Bieber hin: Wahlleiter üben diesen Job in Deutschland grundsätzlich nicht hauptberuflich aus.) […]

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