Die ersten beiden Wochen nach der US-Präsidentschaftswahl sind gekennzeichnet von einem erhöhten Meinungs- und Nachrichtenaufkommen: das Versagen der pollster, Anti-Trump-Proteste, Kritik am Electoral College, hate speech, die holprige Transition to Power, Erklärungsversuche zum Wahlverhalten, (düstere) Zukunftsperspektiven, die Debatte um „Fake News“, erste internationale Gehversuche (und Irritationen) der Trump-Familie Adiminstration bis hin zur Frage nach dem Umgang mit der Presse (und deren Freiheit). Die Liste ist lang und längst nicht abgeschlossen.
Doch neben den unzähligen Medienberichten über die verschiedenen Ebenen des Trump-Aftermath gibt es noch eine weitere Ebene der Auseinandersetzung mit dem anstehenden Wechsel im Weißen Haus. Die Kommentare, Essays, Analysen und Interventionen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich ebenfalls zu Wort melden – zum Teil als Gastautoren in den etablierten legacy media, sehr häufig aber auch in einer in Deutschland eher übersehenen From: den politischen (oder besser: politikwissenschaftlichen) Blogs.
Vor allem zwei drei Gruppenblogs sollen hier kurz erwähnt werden: zunächst der Monkey Cage, der inzwischen in das Angebot der Washington Post integriert ist. Bis 2013 lief das Angebot unter einer eigenen URL, zum Kernteam zählen vorwiegend Wissenschaftler:innen aus Washington, D.C. und New York, aber es gibt auch auch zahlreiche Autor:innen, die anderen Standorten aktiv sind – die Schwerpunkte reichen von public policy, statistics, public opinion bis zu voting und trust. In der Selbstbeschreibung heißt es, vielleicht aktueller denn je:
H.L. Mencken said “Democracy is the art of running the circus from the monkey cage.” Here at The Monkey Cage, we talk about political science research and use it to make some sense of the circus that is politics.
Der (oder das? jaja, ich kenne die Debatte) zweite Blog-to-watch ist Duck of Minerva, nach Auskunft der Autor:innen weiß man auch nichts genaueres über den Namen. Der Schwerpunkt liegt hier eher im Bereich der Internationalen Beziehungen. Der Entstehungsprozess wird leicht augenzwinkernd dargestellt, aber deutlich wird, dass es sich eher um jüngere Autor:innen handelt:
The Duck of Minerva focuses on world politics from an academic perspective. Most of its bloggers have pretentious letters after their names, or are in the process of getting them. (…) No one is quite sure what the name of the blog is all about. Not even (Dan) Nexon (der Gründer, C.B.) . But we do know that it only quacks at twilight.
(Update, 23.11.): Ebenfalls eine Gruppenpublikation ist Just Security, der Schwerpunkt hier liegt auf Rechts- und Sicherheitspolitik. Im Zusammenhang mit der Wahl besonders zu erwähnen ist jedoch eine Serie von Publikationen, die sich mit den Moralfragen auseinandergesetzt haben, die das Eintreten in eine Trump Administration nach sich ziehen könnte. Zu Wort kommen hier nicht allein Wissenschaftler, sondern auch Anwälte oder Praktiker aus der öffentlichen Verwaltung.
We aim to promote principled and pragmatic solutions to national security problems that decision-makers face. Our Board of Editors include individuals with significant government experience, civil society attorneys, academics, and other leading voices.
In beiden sämtlichen Blogs werden gerade mit hoher Frequenz Beiträge publiziert, die sich durchaus von den Texten den klassischen Medien unterscheiden: die Autor:innen beziehen die aktuellen Ereignisse meist unmittelbar auf ihre eigene Forschung oder Berufspraxis und ergänzen theoretische oder methodischen Hintergründe, für die in den journalistischen Texten oft der Raum fehlt. Das Resultat ist oft ein etwas anderes Genre, dass sich in einer Grauzone bewegt. Vollwertige wissenschaftliche Publikationen sind es natürlich nicht, aber es sind auch keine nur berichtenden, nacherzählenden Artikel.
Manchmal finden sich aber auch lange Lesestücke, die die aktuellen Ereignisse im Lichte eigener, älterer Forschung reflektieren und einordnen: der longread von George Lakoff über den Minderheitenpräsident Trump ist ein solches Beispiel. Lakoff (ein Beispiel für einen bloggenden senior scientist) erläutert entlang seiner Arbeiten im Bereich der Kognitionswissenschaft, wie politisches Framing funktioniert und wie Trump damit seine Kampagne erfolgreich gestaltet hat. Am Ende des Textes folgt aber auch noch ein (sehr politischer) Vorschlag, wie man nun mit dem president-elect umgehen sollte:
Trump lost the popular vote. To the American majority, he is a Loser, a minority president. It needs to be said and repeated. Above all, Trump is a Betrayer of Trust. He is acting like a dictator, and is even supporting Putin’s anti-American policies.
Weniger auf Handlungsanweisungen als auf Erklärung angelegt ist dagegen die Ad hoc-Studie, die Jonathan Albright vorgelegt hat. Der Big Data-Experte hat sich mit den Mechanismen der Verbreitung von fake news befasst und zeigt, wie die micro-propaganda-machine im Wahlkampf funktioniert hat:
There’s a vast network of dubious “news” sites. Most are simple in design, and many appear to be made from the same web templates. These sites have created an ecosystem of real-time propaganda: they include “viral” hoax engines that can instantly shape public opinion through mass “reaction” to serious political topics and news events. This network is triggered on-demand to spread false, hyper-biased, and politically-loaded information. For this analysis, I’m calling it “fake news.”
(Update, 23.11.): Auch die jüngste Debatte um eine mögliche Manipulation von Wahlcomputern ist im Bereich der Forschung verankert – John Halperman ist Professor an der University of Michigan und arbeitet am Center for Computer Security & Society. In einem längeren Beitrag, den er auf der Plattform Medium veröffentlicht hat, kommentiert (und beruhigt) er die öffentliche Debatte, die mit einem spekulativen Artikel im New York Magazine ihren Ausgang nahm. Interessant ist neben dem konkreten Fall auch hier der Publikationsort: Medium ist eine offene Plattform, die sich auf die Bereitstellung, Verbreitung längerer Texte spezialisiert hat und dabei besonders auf Interaktionsmöglichkeiten achtet. Beobachter platzieren das Angebot an die Grenzlinie zwischen Blog-Plattform und sozialem Netzwerk. Viele Forscher:innen, aber auch Aktivist:innen nutzen die Möglichkeit einer Reichweitenverstärkung für ihre eigenen Blogs oder suchen explizit den Austausch zu eigenen Ideen und Überlegungen (vgl. im Wahl-Kontext auch die Beiträge von danah boyd oder Daniel Brezenoff).
Nicht fehlen darf in dieser Reihe der Harvard-Jurist Lawrence Lessig, der selbst noch im Vorwahlkampf der Demokraten als Präsidentschaftskandidat angetreten war (und ebenfalls ein intensiver Medium-Nutzer ist). Lessig bezeichnet sich stets auch als activist, und das trifft seine aktuelle Rolle durchaus. Im Augenblick setzt er sich (in seinem eigenen Blog) mit dem Electoral College auseinander. Zunächst hat er auf die verfassungsmäßige Pflicht des Gremiums aufmerksam gemacht, die Demokratie zu schützen – ein kaum verklausulierter Aufruf zur Stimmabgabe für die von einer Mehrheit der Bürger gewählten Kandidatin Hillary Clinton. Dazu sammelt und zitiert Lessig Material zum faithless elector, und argumentiert, dass eine solche, „unbotmäßig“ handelnde Wahlperson dennoch im Einklang mit demokratischen Werten agiert, wenn sie sich gegen den offiziellen Stimmauftrag seines Bundesstaates entscheidet. Herangezogen werden auch Berechnungen zum unterschiedlichen Stimmgewicht in den Bundesstaaten oder auch 50 Jahre alte Klagen von Einzelstaaten gegen die Institution des Electoral College.
Ein weiteres Paradebeispiel liefert der New Yorker Journalismus-Professor Jay Rosen. Sein bereits über lange Jahre aktiver Blog PressThink versammelt kleinere und größere Schriften aber auch zahlreiche Kommentare und Konversationen zur Lage der Medien in den USA. Noch vor der Wahl hatte Rosen in einem viel beachteten Beitrag auf die Wirkmechanismen der Trump-Kampagne verwiesen, nach dem Erfolg des Kandidaten setzt er seine Auseinandersetzung mit den Effekten für die US-amerikanische Medienlandschaft fort. Sein jüngster Beitrag: die Parallelen zwischen der Berichterstattung über Trump und den Gamergate-Skandal von 2014.
The Gamergate model anticipates that the mainstream press will freak out. Full stop. And it seeks to profit from this reaction. What the traditional press considers negative publicity is, from the Gamergate point of view, a kind of gift to The Leader. Trump and his advisors have absorbed these lessons. Gamergate is thus one possible template for the future of White House-press corps relations.
Das interessante an den Beiträgen solcher blogger with a cause ist zum einen natürlich das Eintauchen in die fachlichen Feinheiten unterschiedlicher Debatten zum Wahlausgang – das gilt zum Beispiel auch für die Kommentierung des immer noch laufenden Auszählungsprozesses durch den Wahlforscher Michael McDonald (@electproject). Anders als bei (den meisten) journalistischen Beiträgen geht es hier nicht nur um den Transport der wesentlichen Nachrichteninhalte, sondern es werden Hinweise auf wissenschaftliche Debatten, Methoden oder Theorien geliefert, die den Gegenstand der Texte in einen größeren Kontext einordnen.
Für diese Art der digitalen Einmischung gibt es sogar einen ganz passenden Begriff: Pracademics. In einer Artikelsammlung hatte sich bereits im Jahr 2011 das renommierte US-amerikanische Fachjournal Political Science mit verschiedenen Formaten zwischen „Wissenschaft und öffentlichem Auftrag“ auseinandergesetzt, wissenschaftliches Bloggen gehörte auch dazu. Die Beiträge lassen sich nach wie vor gut lesen, so schrieben Michael McDonald und Christopher Mooney:
Following Paul Posner (2009), we call this service pracademic activity, referring to the creation of professional connections between full-time, university-based political scientists and the practical political world that they study.
Neu ist das politikwissenschaftliche Bloggen also nicht – aber es ist mehr als spannend, dass sich gerade in dieser turbulenten Phase Wissenschaftler besonders aktiv zeigen und so auch eine intellektuelle Praxis fördern, die schon etwas in Vergessenheit geraten ist. Gerade wenn sich die etablierte Presse in einer schwierigen Phase befindet, ist es um so wichtiger, dass andere den Auftrag des speaking truth to power verfolgen – und dies tatsächlich auch tun können.
Noch sind die Wissenschaftler nicht im Visier von @realdonaldtrump aufgetaucht, bisher richtet sich der Zorn des PEOTUS vor allem auf die Vertreter der klassischen Nachrichtenmedien. Sollte sich der Kampf um die Meinungsfreiheit (nicht: Meinungshoheit) in den nächsten Wochen verschärfen, dann könnte den agilen und aktiven Wissenschaftler:innen womöglich eine wichtige Rolle als Stimme in einer zunehmend umstrittenen Öffentlichkeit zukommen.
Donnerstag, 23. März 2017 um 12:32 |
[…] In ihrer März-Ausgabe klinkt sich nun ich die Zeitschrift für Politikwissenschaft in die Debatte um Unser Fach Politikwissenschaft ein und versammelt mehrere Beiträge im Rahmen der Forums-Rubrik. Ich selbst verbinde die Diskussionen gerne mit dem pracademics-Begriff aus dem US-amerikanischen Kontext, zuletzt etwa im Nachgang zur Wahl von Donald Trump, als sich viele Wissenschaftler/innen geradezu gierig auf Weblogs als weapon of choice in der öffentlichen Debatte gestürzt haben (vgl. hier). […]