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Das Duell, das wir verdienen

Freitag, 1. September 2017

Am Sonntag ist es wieder so weit – das Kanzlerduell steht an. Und eigentlich ist dazu schon alles gesagt (vgl. diese unsortierten Altbeiträge hier im Blog), aber okay, ein paar Zeilen dürfen es auch in diesem Jahr wieder sein. Die Standards (Anzahl, Teilnehmer, Termin, Sendezeit und -dauer, Interviewer, Ablauf) lassen sich über die klassische Berichterstattung in den Traditionsmedien einsammeln. Auffällig ist dabei die allgemeine Empörung über den Modus des Duells und die angebliche „Erpressung“ durch die Amtsinhaberin – wie kann sie nur Einfluss nehmen und sagen „Ein Duell ist genug“ oder „Keine zwei Fragerunden mit jeweils zwei Interviewern“? Das macht man doch nicht, das ist eine Vorteilsnahme zu Lasten des Kontrahenten.

Nun ja. Angela Merkel macht das, weil sie es kann.

Denn es gibt keine Regeln für das Duell, die jeweiligen Rahmenbedingungen entstehen seit der Einführung 2002 immer erst im Prozess der Anbahnung des großen Fernsehereignisses – und dabei sitzt die Amtsinhaberin (oder vielleicht irgendwann mal wieder: der Amtsinhaber) am längeren Hebel. Ohne die Zustimmung aus dem Kanzleramt lässt sich keine Fernsehdebatte planen, arrangieren oder durchführen. So einfach ist das.

Es ist natürlich gar nicht einfach und birgt durchaus Probleme, so weist z.B. Günter Bannas in der FAZ vom 1. September auf die „Systemwidrigkeit“ des Duells hin – schließlich finden am 24. September keine Kanzler-, sondern Parlamentswahlen statt und die Reduzierung auf die Spitzenkandidaten führt zu einer (medialen) Benachteiligung der kleineren Parteien und deren frontrunner.

Ja, über all das ist viel geschrieben und eigentlich auch schon alles gesagt worden. Mein Fazit stimmt mit den Überlegungen zu den Debatten in 2002, 2005, 2009 und 2013 überein und lässt sich auf drei Worte reduzieren. Wir brauchen regeln. Das ist im übrigen auch der Untertitel eines Beitrags in der FAZ (erschienen im März 2016), der meine wesentlichen Bedenken und Hinweise zusammenfasst. Zentraler Ansatzpunkt ist das Fehlen einer Regelungsinstanz, die den grundlegenden Modus der TV-Debatten (die eben nicht zwingend ein Duell sein müssen, und schon gar nicht nur ein Duell) festlegt und als Vermittler zwischen den politischen Parteien und den (öffentlich-rechtlichen und kommerziellen) Medien auftritt. Die beispielgebende Commission on Presidential Debates liefert eine Blaupause, für die es in Deutschland keine Entsprechung gibt.

Stattdessen – bekommen wir die Debatte, die wir verdienen.

In schöner Regelmäßigkeit wiederholt sich also der Entstehungsprozess, der im geheimen beginnt (Politik und Medien suchen hinter den Kulissen das Gespräch), irgendwann eine mehr oder minder große Skandalisierung erfährt (Nur ein Duell! Erpressung! Ungerecht!) und schließlich in der Horserace-Berichterstattung vor, während und nach der Sendung mündet (Wer wird gewinnen? Wer schlägt sich besser? Wer hat verloren?).

„Hochrisikofernsehen“ ist das schon lange nicht mehr – geprägt hat den Begriff der US-amerikanische Duell-Beobachter Alan Schroeder, der sich ausführlich mit Debattenformaten auseinander gesetzt und eine sehr gute Darstellung der unterschiedlichen Phasen und Ebenen der TV-Gespräche vorgelegt hat. Schroeder spricht von einer „dreifachen Agenda“ der Debatten, bei der gleichermaßen Politik, Medien und Bürger einbezogen werden, arrangiert durch die Kommission als „Clearingstelle“. Genau diese Vermittlerposition fehlt jedoch in Deutschland, die Debatte – nein, das Duell – ist Produkt eines Klüngels aus Medien und Politik, das Publikum muss sehen, was am Sonntag übrig bleibt. Das ist weder zeitgemäß noch angemessen, es ist schlicht die Übersetzung des dualen Rundfunksystems in eine – aller Kritik zum Trotz – immer noch hochverdichtete, informationsreiche und manchen Stellen vielleicht sogar aussagekräftige politische Gesprächssendung.

Viel mehr ist dazu an dieser Stelle nicht zu sagen, wer mag, kann an anderer Stelle mehr und ausführlicheres lesen, es gibt sogar auch ´was mit Fußnoten:

Bieber, Christoph (2010): Das „Kanzlerduell“ als Multimediadebatte. Politische Kommunikation und Bürgerbeteiligung zwischen TV und Internet. In: Korte, Karl-Rudolf (Hg.): Die Bundestagswahl 2009. Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung. Wiesbaden. S. 236-258.

Die wirklich spannende Frage zum Duell 2017 ist jedoch die nach den Perspektiven für eine Modernisierung – und selbst die ist nicht neu, denn nicht erst Merkels twitternde Deutschlandkette hat gezeigt, dass das TV-Duell längst auch jenseits von Fernsehkamera und -bildschirm als Multimediadebatte weiterlebt. Neu angefacht wird diese Diskussion aktuell vom Format #DeineWahl, bei dem am 16. August Angela Merkel als Premierengast auf Fragen von vier YouTube-Persönlichkeiten geantwortet hatte (live zugeschaut haben“nur“ 55.000 Nutzer, inzwischen hat das Video knapp 1,8 Millionen Aufrufe).

Am 5. September, gerade mal zwei Tage nach dem „Kanzlerduell“ darf sich dort nun auch Martin Schulz beweisen – am Start sind nur noch zwei der vier Frager aus der ersten Auflage, ansonsten gelten die gleichen Regeln. Ach ja, Regeln… da war doch was.

Oder besser: da war eben nichts – denn auch die Digitalversion entwickelt sich im ungestörten Austausch von Politik und Medien bzw. Anbieter. Durchgeführt wird das Format im Berliner YouTube Space, als Produzent agiert der ProSiebenSAT.1-Ableger Studio 71 „in technischer Kooperation mit YouTube“. Jenseits der Realisation eines für ein deutlich jüngeres Publikum attraktives Politik-Format sind hier die gleichen Fragen (und auch Maßstäbe) anzusetzen wie für das „große“ TV-Duell: wer bestimmt Gästeliste, Abläufe und Inhalte? Wer legt die Themen fest und wer stellt welche Fragen? Und überhaupt: ist das nicht eigentlich auch „Rundfunk“?

Kurzum: hier wiederholt und aktualisiert sich die Frage nach der systemischen Passgenauigkeit prominent besetzter politischer Gesprächsformate in traditionellen und neuen Medienumgebungen. Und solange sich auf der institutionellen Ebene nichts ändert, solange bekommen wir eben die Sendungen, die uns die Verantwortlichen in Medien und Politik servieren. Dass sich das Mediennutzungsverhalten unter den Bedingungen der Digitalisierung massiv verändert und damit auch neue Teilpublika entstehen, die von der Politik adressiert werden müssen – das ist eine weitere Nebenlinie, die am Beispiel des TV-Duells immer deutlicher wird. Das (lineare) TV-Duell am Sonntag zielt auf ein zunehmend älteres Fernsehpublikum, die dezentralen Online-Formate erreichen mehrheitlich eine andere Klientel. Solche Entwicklungen werden in den nächsten Wahlzyklen noch sehr viel wichtiger werden und sie verweisen auch auf die – ungewisse – Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft.

Ach ja, läuft das TV-Duell eigentlich auch auf der funk-Plattform?

Irgendwas zur #btw13

Dienstag, 3. Dezember 2013

Die Bundestagswahl liegt nun bald drei Monate zurück, eine Regierung ist zwar in Sicht, aber noch nicht gebildet und außerdem ist bald Weihnachten. Zeit für einen kleinen, besinnlichen Blogeintrag. Nicht.

November und Dezember sind vollgepackt mit Lehrveranstaltungen, Tagungen, und zwei Publikationen wollen auch noch herausgegeben werden. Dazu hält einen das SPD-Mitgliedervotum auf Trab und dann gab es auch noch die „Leaks“ zum Koalitionsvertrag. Aus Gründen der Zeitknappheit daher hier nur ein Sammelsurium aus Hinweisen auf diverse Vorträge, Skizzen und Seminardiskussionen, damit nichts vergessen geht und es in einer etwas ruhigeren Zeit wieder aufgegriffen werden kann.

Die Wahlnachbereitung begann für mich am 24. September mit einem Vortrag an der Uni Basel, der Vortrag hatte den etwas sperrigen Titel Politik und Staat im Netz. Social Media nach dem NSA-Abhörskandal und der Wahl in Deutschland und fand im Rahmen der Ringvorlesung Digital Media Studies statt. Der Vortrag war ein kleiner Rundumschlag, die drei zentralen Abschnitte (und für mich die relevanten Arbeits- und Forschungsbereiche zur Wahl) waren Persönliche Öffentlichkeiten, politische Echtzeitkommunikation und schließlich die inhaltliche Dimension der Netzpolitik. Ein Video der Veranstaltung und auch die Folien zum Vortrag gibt es hier.

Es folgte am 1. Oktober ein Vortrag bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung in Frankfurt, dafür habe ich mir insbesondere noch einmal die (relativ bescheidene) Nutzung von Online-Video angesehen. Auffällig war dabei insbesondere die Aktivität der AfD, die mit einem massiven YouTube-Angebot angetreten war und den eigenen TV-Spot durch Werbung weit vor die Clips aller anderer Parteien katapultiert hatte.

Die beiden Vorträge am 14. und 17. Oktober in Recife und Salvador fassten die Online-Ereignisse im Wahlkampf zusammen und stellten Bezüge zur Situation in Brasilien her. Spannend zu beobachten war hierbei insbesondere die allmähliche Formierung einer jungen politischen Öffentlichkeit, die sich auf eine sehr gut ausgebaute Social Media-Nutzung der „ersten demokratischen Generation“ stützen kann. Im Dialog mit den brasilianischen Kollegen wurde deutlich, dass zwei Entwicklungen zusammenfließen: einerseits beteiligen sich immer mehr Menschen am politischen Prozess, die ihr Land ausschließlich als Demokratie kennengelernt haben, andererseits stellt gerade für diese Generation die Kommunikation in und mit digitalen Medien einen zentralen Alltagsbestandteil dar. Die Demonstrationen dieses Sommers sind zwar abgeebbt, der Protest allerdings keineswegs erloschen (vgl. hier). Ansatzweise scheint sich mit dem Comitê Popular eine occupy-artige Bewegung zu formieren – das nächste Jahr wird zeigen, inwiefern die Fußball-WM tatsächlich als (analoge und digitale) Bühne für einen politischen Auseinandersetzung vor der Präsidentschaftswahl im Herbst 2014 genutzt werden wird.

Im etwa zeitgleich startenden Wintersemester beschäftigt mich die Bundestagswahl in Duisburg vor allem im Rahmen einer Seminarveranstaltung zur Europäischen Netzpolitik. Die Ereignisse nach der Wahl liefern hier bis heute exzellente Vorlagen für die Diskussion mit den Studierenden, insbesondere der offene Verhandlungsprozess der Unterarbeitsgruppe Digitale Agenda (vgl. dazu das exzellente #uada-Storify drüben bei politik-digital.de) ist dabei sehr ertragreich gewesen. Zum einen lässt sich daran sehr schön die Beeinflussung und kommunikative Öffnung bislang abgeschlossener Verhandlungsprozesse zeigen (inklusive der diversen „Koaleaks“, bei denen unterschiedliche Positionspapiere bis hin zum fertigen Koalitionsvertrag vorzeitig an die (digitale) Öffentlichkeit weitergereicht wurden), zum anderen wird auch erkennbar, dass wir es bei der Netzpolitik bislang nicht mit einem eigenständigen Politikfeld, sondern nur mit einem politischen Handlungsfeld zu tun haben (vgl. dazu den schönen Schnappschuss von @zeigor). Diese beiden Ansätze habe ich in einem Vortrag an der Evangelischen Akademie Tutzing zusammengefasst, dorthin hatte nämlich der umtriebige @dvg große Teile der üblichen Verdächtigen gebeten.

Eine andere Seminarveranstaltung mit dem Titel Ethik des Wählens eröffnet eine ganze Reihe zusätzlicher Perspektiven auf die Bundestagswahl, gemeinsam mit den Studierenden im Master Politikmanagement wurden insbesondere Gerechtigkeitsaspekte des Wahlrechts diskutiert: taugt die Debatte um Nichtwahl als Tugend wirklich als produktiver Zugang zur Diskussion um Politik- und Parteienverdrossenheit? Inwiefern ergeben sich moralische Probleme mit der Entscheidung der SPD, nach einem Anti-Merkel-Haustürwahlkampf radikal auf die #GroKo umzuschwenken und die Basis in einem Mitgliederentscheid um Zustimmung zu fragen? Und überhaupt, ist das nicht verfassungswidrig, was die Genossen sich da ausgedacht haben? Im Radau um den seltsamen Dialog zwischen Marietta Slomka und Sigmar Gabriel sind einige andere Fragen rund um den Mitgliederentscheid untergegangen: Was ist denn eigentlich mit den nicht wahlberechtigten Mitgliedern der SPD, die zwar am 22. September nicht stimmberechtigt waren, wohl aber am Votum teilnehmen dürfen? Nun gut, allzu viele unter 18jährige bzw. ausländische Mitglieder gibt es zwar nicht, aber die Frage regt dennoch zum Nachdenken über immer schiefer werdende Repräsentationsverhältnisse an. Und wie sieht es denn mit den Nichtwähler/innen mit SPD-Parteibuch aus? Sollte jemand, der nicht zur Wahl gegangen ist, sich besser auch nicht am Mitgliedervotum beteiligen? Wenn man etwas präziser hinschaut, wirken die Mechaniken innerparteilicher Demokratie auf vielschichtige Weise herausgefordert. Und noch ein letztes Gedankenexperiment: könnten für den Fall einer Ablehnung der Großen Koalition die Grünen bei einer Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU hinter die Basisorientierung der Genossen zurückfallen?

Darüber hinaus gibt es noch weitere Themen, die mich (und ich denke, auch andere) in der nächsten Zeit noch beschäftigen sollte: durch das knappe Scheitern von FDP, AfD und, mit Abstrichen, auch der Piraten ist mit 15,7 Prozent eine hohe Zahl von wasted votes entstanden, die für nicht im Bundestag vertretenen Parteien abgegeben wurden. Dadurch sinkt, im Verbund mit der minimal gestiegenen, aber lange nicht überragenden Wahlbeteiligung, die „Repräsentationsquote“ des Parlaments weiter ab.

Mit Blick auf die Gruppe der Wähler bleibt schließlich noch eine letzte Anmerkung, diesmal zum praktischen, nicht inhaltlichen Wahlverhalten – die Zeitstruktur der Stimmabgabe bedarf größerer Aufmerksamkeit, sowohl in der Politik, den Medien und der Wissenschaft. Was ich damit meine, habe ich in wenigen Worten als Kommentar für politik & kommunikation formuliert, hier der sneak preview vorab:

Die Zeitstrukturen der Stimmabgabe sind ein überaus spannender Aspekt der Bundestagswahl 2013. Sehr viel war von den unentschlossenen Wählern zu hören, die ihre Entscheidung erst auf dem Weg zum Wahllokal oder sogar erst in der Wahlkabine fällen. Auf diesen Typus des so genannten „late decider“ richteten die Parteien ihren Wahlkampf ebenso aus wie die Medien ihre Berichterstattung. Über die tatsächliche Größenordnung können – mit den üblichen Unsicherheiten – die Nachwahlbefragungen einigen Aufschluss geben. Sicher aber ist: wesentlich größer war die Zahl derjenigen, die ihre Stimme zum Teil schon weit vor dem 22. September vergeben haben, manche sogar noch vor dem TV-Duell drei Wochen zuvor. Denn mit 25% ist der Anteil der Briefwähler so hoch wie noch nie. Dieses „early voting“ ist ein großer und weitgehend unbekannter Gegenpol zur späten Stimmabgabe. Was bislang fehlt, ist die bessere Abstimmung der Kampagnenführung auf die Frühwählerschaft – und eine substanzielle Briefwahlforschung.

Irgendwas mit Monarchie? (#btw13)

Montag, 23. September 2013

Zur Wahl. Ein bemerkenswerter Abend, in vielerlei Hinsicht. Ich weiß zwar nicht so recht, wo ich anfangen soll, aber hier mal ein paar noch relativ unsortierte Notizen. Update: der Post ist an den Tagen nach der Wahl als sehr vorläufige Kommentar-/Materialsammlung entstanden und noch nicht soll kein fertiger, abgeschlossener Text werden. wenn ich zwischendurch noch etwas Zeit für weitere Notizen finde, werden auch die under construction-Felder verschwinden. Die Abschnitte zu den Parteien werden vorauss. noch weiter ergänzt, bzw. mit Links angereichert. Hinweise auf ähnliche bzw. weiterführende Beiträge sind hochwillkommen.

CDU/CSU

Absolute Mehrheit, bzw. knapp darunter – ein beinahe „monarchisches“ Wahlergebnis für Angela Merkel, mit einem durchaus heftigen Beitrag der bayerischen „Schwesterpartei“. Man könnte meinen, der Seehofer-Erfolg der Vorwoche hat zu einer Win-win-Situation geführt (Bandwagon-Effect ist glaube ich das Stichwort, als Gegenstück zur Schweigespirale). Trotzdem dürfte die Regierungsbildung keine leichte Aufgabe werden – die SPD laboriert immer noch an den Spätfolgen der Großen Koalition von 2005 und darf im Falle einer Neuauflage berechtigter Weise mit den nächsten Stimmen- und Identitätsverlusten rechnen. Den Grünen könnte das Schicksal der FDP eine Lehre sein – die Befreitung aus der Umklammerung der Merkel-CDU ist nicht leicht. Und um sich die Energiewende auf die Fahnen schreiben zu können, müssten die Grünen an Peter Altmaier vorbei. Das ist keine leichte Aufgabe. Eine Alleinregierung wäre wohl nicht wirklich eine Alternative, zu knapp und zu unsicher wäre die Mehrheit – und sicher kein Signal in Sachen Stabilität. Die Merkel-Monarchie ist keine Option. Und man wird in der Union über die Zeit danach nachdenken – was und wer folgt auf Angela III., wer könnte als Thronfolger/in aufgebaut werden? Gibt es einen vorzeitigen Exit der Kanzlerin, ähnlich wie bei Koch oder Beck? Und überhaupt: wofür steht die CDU in Zukunft? Nach dem defensiven und teilweise inhaltsbefreiten Wahlkampf könnte auch mal wieder nach Inhalten gefragt werden.

Noch ein Wort zur CSU: das Zweitstimmenergebnis liegt in absoluten Zahlen noch deutlich über der Landtagswahl aus der Vorwoche – hier muss man wohl sagen, dass der Terminpoker funktioniert hat: mit der gewonnenen Landtagswahl im Rücken konnten zusätzliche Wähler mobilisiert werden, die das Unionsergebnis im Bund stabilisiert haben. Dadurch verbessert sich die Verhandlungsposition, wenn es um Personalfragen geht – allerdings spielt auch eine Rolle, wer als Juniorpartner in die Regierung geht. Im Falle von Schwarz-Grün könnte es Alexander Dobrindt zB recht schwer haben…

SPD

Leichte Gewinne, aber alles andere als ein überzeugende Re-Entry auf der Berliner Bühne. Steinbrück ist ´raus („thank god, it´s election day“) und Sigmar Gabriel geht nun in den Parteikonvent, das wird eine spannende Übung in innerparteilicher Demokratie. Lässt man sich auf eine erneute Große Koalition ein, mit einer Wiederholung der Folgen von Merkel I (= erhebliche Reduzierung der Stimmanteile, denn von der vermutlich stabilen Regierung profitiert nur die Kanzlerin, nicht der Juniorvize)? Oder geht man erneut in die Opposition („Mist!“, Franz Müntefering) und gibt neuen Perspektivkräften Zeit zur Entwicklung für 2017 and beyond? Wer könnte das sein? Olaf Scholz? Hannelore Kraft? Schwierig… Im Sinne der Stein-Strategie (vgl. Friebe, 2013) noch eine Weile warten? Und dann vielleicht doch noch über #r2g, also rot-rot-grün auf die Regierungsbank kommen, wie es Nico Lumma gewohnt konsensorientiert vorschlägt?

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Wahlkampf in persönlichen Öffentlichkeiten

Donnerstag, 8. August 2013

Unter dem Titel Im Social Web angekommen ist in diesen Tagen ein recht umfangreiches Dossier zum Stand des Online-Wahlkampfs in den sozialen Netzwerken auf tagesschau.de veröffentlicht worden. In der Vorbereitung dafür wurde ich von der Redaktion interviewt, unser Gespräch schaffte am Ende dann aber nicht den „Cut“ und blieb offline. Hier im Blog dokumentiere ich aber mal die zentralen Passagen unserer Unterhaltung, die einige aus meiner Sicht wichtige Elemente der politischen Online-Kommunikation vor der Bundestagswahl 2013 anschneiden.

Frage: In Tweets und Posts ist eine extreme Komplexitätsreduktion notwendig. Sind diese Plattformen überhaupt zur serösen Vermittlung von politischen Inhalten verwendbar?

CB: Ja, weil Man in kurzen Tweets und Posts auf andere Inhalte im Netz verweisen kann, in denen dann mehr Raum ist für differenzierte Informationen.

Das wäre also eine Art „Anfüttern“ auf den Social-Media-Plattformen.

Man kann Social Media ja durchaus als mehr als eine reine Verkündungsplattform für Pressemitteilungen sehen. In der Echtzeit-Kommunikation sind die einzelnen Äußerungen Bestandteile eines längeren Dialogs mit einer oder mehreren Personen. Die einzelnen Tweets oder Posts beziehen sich ja aufeinander.

Der Austausch oder Dialog ist ja eine Idealvorstellung. Wird die bereits umgesetzt in der deutschen Politik?

Die deutsche Politik kennt sich mit Twitter fast länger aus als die deutschen Qualitätsmedien, die nur zögerlich begonnen hatten, Social Media in die eigene Arbeit zu integrieren. Schauen Sie sich an, was im Umfeld von Plenardebatten getwittert wird, wie über Programme in den Sozialen Netzwerken diskutiert wird, wie „Online-Ereignisse“ kreiert werden wie zum Beispiel #fragpeer bei der SPD. Auch bei großen Parteitagen wird die Echtzeit-Kommunikation in die PR-Strategie eingebunden.

Verändert sich das Politikverständnis durch die Kommunikation über Social Media?

Die Öffentlichkeiten verändern sich. Es sind nicht mehr die klassischen Zuschaueröffentlichkeiten der alten Massenmedien. Der Kommunikationssoziologe Jan Schmidt beschreibt das mit dem Begriff der „persönlichen Öffentlichkeiten“: Das Umfeld der sozialen Netzwerke  ist geprägt von den Personen, die sich dort bewegen, die selbst entscheiden können, an welches Publikum sie sich richten. Das ist etwas anderes als das unpersönliche Publikum der Massenmedien, bei dem es kaum möglich ist, direkte Beziehungen zu den Menschen herzustellen. Wie man davon als Politiker, Journalist oder auch Bürger profitieren kann, das müssen alle Beteiligten erst noch herausfinden.

Welchen Unterschied sehen Sie zwischen Twitter und Facebook?

Der erste Ansatz wäre, dass Die Kommunikation bei Twitter ist noch stärker auf Echtzeit-Ereignisse ausgelegt ist. Allerdings finden auch als die Facebook-Updates häufig in Echtzeit statt. Trotzdem könnte man einen Unterschied daran festmachen, dass auf Facebook eher das zu finden ist, was früher charakteristisch für die persönlichen Homepages war, während die Kommunikation auf Twitter immer einen konkreten Bezug zum Ereignis aufweist.

Was können Politiker über Social-Media-Kampagnen im Wahlkampf erreichen?

Das Online-Campaigning zielt immer in drei Richtungen: erstens auf die Menschen, mit denen die Parteien und Politiker in irgendeiner Weise verbunden sind, das heißt, sie sprechen in erster Linie ihre Unterstützer an. Kampagnen können außerdem darauf ausgerichtet sein, auf die eher Unentschlossenen anzusprechen und so neue Unterstützer zu gewinnen. Drittens werden auf jeden Fall auch Medienakteure angesprochen, sowohl innerhalb wie außerhalb des Netzes. Das, was Politiker in den neuen Medien machen, hat momentan noch einen so hohen Neuigkeitswert, dass auch in den alten Medien darüber berichtet wird. Dadurch steigert sich die Reichweite der politischen Kommunikation im Netz. Eine relevante Sichtbarkeit erreicht man zumeist erst dann, wenn man den Sprung von den neuen in die alten Medien schafft.

Was raten Sie denn Politikern?

Als Wissenschaftler kann ich sagen, dass die Politiker es nicht so machen sollten wie in den vorherigen Wahlkämpfen und ihr Interesse für die sozialen Medien nicht nur bis zum Wahltag um 18 Uhr aufrecht erhalten. Auch während der Amtsführung oder in der Opposition sind diese Plattformen alltägliche Kommunikationswege.