Archive for the ‘Ethik’ Category

Ethik unterwegs: Zürich

Freitag, 25. Januar 2013

Vor einigen Tagen ging die Exkursion des neuen Master-Jahrgangs an der NRW School of Governance zu Ende – im Rahmen des diesjährigen Haniel Master Course führte uns die #nrwxzh an das Ethik-Zentrum der Universität Zürich (UZH). Ähnlich wie bei meiner Visite am Markkula Center for Applied Ethics ist dies Anlass für ein paar Gedanken über die Funktionsweise und Ausrichtung von Ethik-Zentren.

Vorab zum Rahmen: Unsere Seminargruppe befasst sich im laufenden Semester vertiefend mit ethischer Politikberatung, aus diesem inhaltlichen Bezug heraus entstand die Idee für eine Reise in die Schweiz. Dank der freundlichen Aufnahme und großen Unterstützung von Prof. Dr. Markus Huppenbauer war die Organisation einer „Mini-Konferenz“ möglich, die den Studierenden (und dem Lehrstuhl-Team) nicht nur Einblicke in die Arbeitsweise des Zentrums, sondern auch in aktuelle Forschungsprojekte erlaubte. Anders als bei konventionellen Exkursionen, die zu großen Teilen aus einer Art „Venue-Hopping“ bestehen und sbei denen Seminargruppen wild durch den jeweiligen Exkursionsort gescheucht werden, fanden alle Sessions im so genannten „Kutscherhaus“, dem Seminargebäude des Zentrums statt. Das Resultat waren ein Crash-Kurs in „Ethischer Entscheidungsfindung“, ein theoriegesättigter Vortrag über Klimagerechtigkeit und Demokratie, eine umfassende Einführung in Fragen von Medienqualität und Medienethik sowie eine Auseinandersetzung mit dem Konzept Sozial Verantwortlichen Investierens.

An der Zürcher Konstruktion lässt sich sehr gut die aktuelle Dynamik dieses Forschungsbereichs zeigen: die Basis bildet der Zusammenschluss des Instituts für Sozialethik, der Arbeits- und Forschungsstelle für Ethik sowie dem Institut für Biomedizinische Ethik zum „Ethik-Zentrum“ – (inzwischen) klassische Eckpfeiler der Ethik im Wissenschaftsbetrieb mit Wurzeln in der Philosophischen Fakultät inklusive eines Einschlags aus den Lebenswissenschaften. Das Zentrum wird seit 2005 für jeweils 4 Jahre ergänzt durch den „Universitären Forschungsschwerpunkt Ethik“ (USFP), der insbesondere durch ein Graduiertenprogramm eine interdisziplinäre Verankerung ethik-bezogener Forschung erreicht hat. In der ersten Tranche (2007-2010) wurden Projekte aus der Medizinischen, der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen, der Rechtswissenschaftlichen, der Wirtschaftswissenschaftlichen sowie der Philosophischen Fakultät der UZH gefördert, die aktuelle Förderphase (2010-2013) legt den Akzent auf das Thema „Gerechtigkeit“ und erweitert auf diese Weise ebenfalls die Reichweite der Forschungsarbeiten.

In den vier Arbeitsschwerpunkten dieses Förderbereichs spiegelt sich die aktuelle Konjunktur ethik-bezogener Forschungen wieder. Die Themen Globale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit und biomedizinische Ethik, Gerechtigkeit und Unternehmensethik und Umweltgerechtigkeit lassen sich dabei gut an politikwissenschaftliche Forschungskontexte anknüpfen: Global Governance als Herausforderung für (funktionierende, demokratisch legitimierte) Politik im Weltmaßstab, ethische Beratungsorgane wie der Ethikrat als neue politische Akteure, Finanzmarktpolitik und Klimapolitik als Politikfelder im Zeichen einer zusätzlichen Einflussgröße jenseits szientistischer Verrechnungsmodelle. Unmittelbar deutlich wird hier die Forschungsorientierung des Zürcher Zentrums im Vergleich zur US-amerikanischen Spielart des stark praxisorientierten Markkula Center – während dort der intensive Austausch mit den lokalen und regionalen Akteuren aus Politik und Verwaltung als wesentlicher Treiber für die Organisation der Einrichtung gilt, ist das Ethik-Zentrum der UZH mehrfach in den Wissenschaftsbetrieb vernetzt und wirkt als produktiver Innovationsort einer interdisziplinären Ethik-Forschung.

Hier deutet sich an, dass eine spezifisch politikwissenschaftliche Perspektive durchaus in der Lage sein kann, Impulse und Ergänzungen zu liefern. Für Reichweite und Wirkungstiefe einer ethik-orientierten Forschung in den unterschiedlichen Feldern spielt die Verzahnung mit politischen Debatten sowie den zentralen Akteuren politischer Systeme eine wichtige Rolle – genau dabei ist die spezielle Expertise politikwissenschaftlicher Forschung gefordert: Wie transportieren und verarbeiten politische Akteure Ethik-Diskurse im parlamentarischen Raum oder in innerparteilichen Diskussionsräumen? Inwiefern verändern spezialisierte Ethische Beratungsorgane die Verfahren im Kernbereich politischer Systeme? Wie reagieren Abgeordnete auf Debatten und Impulse der Ethik-Gremien, werden dadurch Entscheidungskommunikation und Politikmanagement beeinflusst? Verbessert sich dadurch die Qualität und Nachhaltigkeit politischer Entscheidungen? Ermöglicht eine ethisch begründete Kritik bereits getroffener Entscheidungen bessere Möglichkeiten zur Evaluation und Reformulierung im policy cycle?

In Ansätzen werden hier auch Ansätze zur Schärfung von Profil und Arbeitsprogramm der Duisburger Stiftungsprofessur erkennbar. Als nächster Schritt steht hier nun die Edition des Sonderheftes 2013 der Zeitschrift für Politikwissenschaft auf der Agenda, um für weitere Impulse zur Vernetzung sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze zu sorgen.

Stay tuned.

Wie funktioniert ein „Ethics Center“?

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Heute hatte ich die Gelegenheit zu einem Besuch im Markkula Center for Applied Ethics an der Santa Clara University. Seit meinem Wechsel an die Universität Duisburg-Essen habe ich mich (vor allem aus der Perspektive des anwendungsorientiert arbeitenden Politikwissenschaftlers) mit verschiedenen Aspekten der Ethik-Ausbildung an deutschen Hochschulen auseinandergesetzt und den Vergleich mit der US-amerikanischen Praxis halte ich für durchaus ertragreich.

Auch wenn es zunächst etwas unscheinbar klingen mag (wer kennt schon Santa Clara?), das Center ist eines der größten in den USA und weist im Vergleich zu den meisten anderen Ethik-Einrichtungen nicht nur allgemeine Angebote und Services für die jeweilige Hochschule auf, sondern ist auch als Dienstleister und Think Tank in die regionale Umgebung eingebunden. Schließlich weist das Center darüber hinaus eine inhaltlich ausdifferenzierte Struktur entlang mehrerer Themenfelder auf (z.B. Bioethik, Umweltethik, Wirtschafts-/Unternehmensethik) und postitioniert sich als öffentliche Bildungseinrichtung.

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Die Affäre Wulff: Symbol und/oder Symptom?

Freitag, 6. Januar 2012

Nach viel zu langer Funkstille (Schuld waren/sind neben der üblichen Semesterbelastung diverse Artikeldeadlines, demnächst mehr dazu) zumindest ein kurzer Einwurf zur Affäre um Bundespräsident Christian Wulff. Das ist ein schwieriges Feld, doch in letzter Zeit erfolgten einige Anfragen (die vermutlich den ein oder anderen Artikel und/oder Vortrag nach sich ziehen dürften), daher auch an dieser Stelle ein paar Notizen.

Update 8.1.: Lauer liest Wulff. Das Storify des Soundbloggers @dr_meyer sagt eigentlich alles.

Update 8.1.: Da sich die „Affäre“ offenbar noch eine Weile hinziehen dürfte, werde ich im Rahmen meiner Vorlesung Medien, Kommunikation, Politik am Mittwoch eine Art aktuelle Stunde einlegen. Bereits nach einer flüchtigen Skizze des Materials komme ich auf mindestens vier Dimensionen: die Kredit-, Amts-, Medien- und Staatsaffäre. Bei präziserer Differenzierung könnte man den Medienbereich in alte und neue Medien unterteilen, zudem gibt es als Nebenlinie noch den Bereich Sprache und Politik. Eine internationale Dimension hat die ganze Sache sicherlich auch, aber das blende ich zunächst einmal aus.

Update 6.1.: Im heutigen Textbeitrag geht es um die Frage nach der Zukunft des Amtes. Ich bin der Ansicht (ganz ähnlich wie auch Kollege Sarcinelli), dass es nicht zu einer Zusammenlegung mit bzw. einer Verteilung der Aufgaben auf andere Institution oder gar zu einer Abschaffung kommen sollte. Wenke Börnsen hat für tagesschau.de zu dieser Frage einen sehr ausführlichen Artikel zusammengestellt.

Update 5.1.: Besondere Ereignisse erfordern besondere Kommentare – das, was Frank Schirrmacher für ein „Staatsinterview“ hält, ist für mich eine „Presidential Debate“. Allerdings merkte man es dem TV-Interview mit Christian Wulff an, dass die Zeit fehlte, um dem Format das nötige „Gewicht“ zu verleihen. So war es nur eine Art Kanzlerduell auf Speed. Meine Anmerkungen dazu sind drüben bei The European erschienen.

Update 4.1.: Inzwischen gibt es einige weitere kurze Statements zum Thema – für heute.de ein paar Anmerkungen zu modernen politischen Karikaturen im Netz, auf derwesten.de ein kurzes Interview zur Krisenkommunikation in Bellevue.

Update 23.12.: Eine verdichtete Fassung des Textes mit Schwerpunkt auf der Geschenkökonomie des Christian Wulff ist am 23.12. im Rahmen der Debatte „Streit um Christian Wulff“ auf The European erschienen.

(Originalfassung)

Die aktuelle Medienberichterstattung konzentriert sich bislang auf die Hintergründe bzw. Umstände diverser „Gefälligkeiten“ bzw. „Unterstützungsleistungen“, die der amtierende Bundespräsident noch während seiner Zeit als niedersächsischer Landespolitiker und Ministerpräsident erhalten hat. Kennzeichnend ist dabei die Suche nach belastendem Material, das ein möglicherweise auch juristisch valides Fehlverhalten des Politikers dokumentieren soll. Dadurch gerät einerseits die Person Christian Wulff und das ihn umgebende Beziehungsnetzwerk in den Blick (sehr gut: eine Darstellung des Netzwerks mit Gephi dazu).

Im zweiten Schritt folgt dann in der Regel die Frage nach den Auswirkungen auf das Amt des Bundespräsidenten. Hierbei gilt bislang offenbar die Faustregel: so lange kein justiziables Fehlverhalten festgestellt werden kann, bleibt auch das Amt unbeschädigt. Daraus resultiert der Schluss, dass im Moment der Aufdeckung bzw. des Nachweises eines Rechtsbruchs der Rücktritt des Präsidenten erfolgen muss.

An dieser Stelle würde ich einhaken wollen: zwar ist die formale Machtfülle des Bundespräsidenten relativ klar eingegrenzt (vgl. hier), das Amt bietet aber über die prominente Position in der Öffentlichkeit dennoch zahlreiche Handlungsmöglichkeiten und -ressourcen. Mein Düsseldorfer Kollege Stefan Marschall betont diese Form eines informellen Regierens in und mit der Öffentlichkeit: „Teil des going public der Präsidenten sind nicht nur ihre Worte, sondern auch ihre Taten, das symbolische Handeln.“ (2007: 190f) Durch die solchermaßen herausgehobene Rolle – nicht allein als formales Staatsoberhaupt, sondern auch als zentrale öffentliche Verkörperung des Staates – nimmt das Amt eben auch dann Schaden, wenn sich eine breite öffentliche Debatte entlang fragwürdiger Handlungen, Praktiken oder Beziehungsnetzwerke entwickelt und den Blick auf die übrigen Ämterpflichten und -erfordernisse überdeckt. Hierbei wirkt gerade die mit dem Amt verbundene „soft power“ jenseits formaler Befugnisse auf das Staatsoberhaupt zurück, auch „informelles Fehlverhalten“ bleibt nicht ohne Folgen für das Ansehen von Amt und Person.

Außerdem möchte ich noch auf eine zweite Entwicklung, bzw. einen anderen Denkansatz hinweisen und das ist die Diskussion um die Hannover Connection (Wirtschaftswoche). Ganz abgesehen davon, was bei den weiteren Recherchen um dieses Netzwerk offen gelegt werden wird, drängt sich der Eindruck auf, dass hier ein Muster vorliegen könnte, das in ähnlicher Form auch in anderen Ecken der Republik existiert. Zu fragen wäre dann, ob solche Netzwerke zwischen Politik, Wirtschaft, Medien und „Society“ systembedingt entstehen und Politiker qua Amt darin eingebunden werden. Im niedersächsischen Fall gerät insbesondere die „Kampagnenbeihilfe“ von Carsten Maschmeyer in den Blick – das „selbstständige“ Buch-Sponsoring während des Landtagswahlkampfs 2007. Diese Praxis einer „personenunabhängigen“ Unterstützung entspricht ziemlich genau den independent expenditures, die im Rahmen des anstehenden US-Wahlkampfs dafür sorgen dürften, dass die zahlreichen Kandidaturen enorme Geldflüsse erwarten dürfen.

Die Suche nach immer neuen Schlupflöchern, die eine legale Beteiligung an der Durchführung von Kandidaten- oder Themen-orientierten Kampagnen ermöglichen und die existierenden gesetzlichen Regeln zur Politik- und Wahlkampffinanzierung unterlaufen, ist in den USA bereits zu einem zentralen Ansatzpunkt für eine Fundamentalkritik am gesamten politischen System geworden. Ein Wortführer dieser Strömung ist der Jurist Lawrence Lessig, der in seinem aktuellen Buch Republic, Lost die sukzessive Unterwanderung der Politik durch eng geflochtene Beziehungsnetzwerke beschreibt. Dabei geraten gewählte Repräsentanten immer häufiger in komplexe Abhängigkeitsverhältnisse, die nicht etwa durch kriminelle Bestechung entstehen, sondern durch den allmählichen Umbau des Machtzentrums Washington zu einer nur noch schwer durchschaubaren Geschenkökonomie.

For this economy to survive, we need only assume a rich and repeated set of exchanges, among people who come to know and trust one another. There has to be the opportunity to verify that commitments have been met – eventually. In the meantime, there must be the trust necessary to enable most of the exchange to happen based on trust alone. (Lessig 2011: 111)

In den USA hat sich dieses Szenario inzwischen zu einer Standardsituation der politischen Einflussnahme entwickelt. Lessig spricht dabei offen von einer neuen Form der Korruption, in deren Zentrum nicht mehr korrupte Individuen, sondern korrupte Institutionen stehen:

In this second sense of corruption, it is not individuals who are corrupted within a well-functioning institution. It is instead an institution that has been corrupted, because the pattern of influence operating upon individuals within that institution draws them away from the influence intended. (Lessig 2011: 231)

Für Lessig ist der Referenzrahmen nichts weniger als der gesamte US-Kongress, den er einer solchen „Abhängigkeitskorruption“ anheim gefallen sieht – das ist die verlorene Republik aus dem Buchtitel.

Von einer solchen Situation ist Deutschland sicher noch weit entfernt – die Auffälligkeiten im Politikbetrieb haben zuletzt allerdings derart zugenommen, dass es offenbar an der Zeit ist, nach Mustern zu suchen, die auf die Entstehung von eng geflochtenen Beziehungsnetzwerken in den Kernbereichen politischer Macht hindeuten. Neben den Fällen materieller Vorteilsnahme oder Begünstigung geraten dabei insbesondere die Karriereverläufe von Politikern in den Blick, die nach Abschluss ihrer politischen Laufbahn immer häufiger in prominente Wirtschafts- oder Verbandsämter wechseln. Die Affäre um Bundespräsident Wulff leistet aufgrund der Fallhöhe aus oberster Staatsposition in besonderer Weise Vorschub für die weitere Auseinandersetzung mit solchen Betriebsgeheimnissen der Politik.

Literatur:

Marschall, Stefan (2007): Die unpräsidiale Republik. Der schwache, aber nicht ohnmächtige Bundespräsident. In: ders.: Das politische System Deutschlands. Konstanz. S.175-195.

Lessig, Lawrence (2011): Republic, Lost. How Money Corrupts Congress – and a Plan to Stop It. New York.