Endlich! Das Feuilleton ist auf meinen Namensvetter Justin Bieber aufmerksam geworden, am gestrigen Sonntag hat Alexa Hennig von Lange einen Text zum Thema vorgelegt, der angemessene Titel lautet: Der Wahnsinn unserer Tage.
Im „analytischen“ Dreischritt Der Irrsinn – Die Frisur – Die Verstörung zeichnet die Autorin diverse Elemente, Phasen und Symptome des „Bieber-Fieber“ nach. Dabei bleibt ein aus meiner Perspektive sehr wichtiger Bestandteil außen vor, nämlich Die Community.

Als im vergangenen Mai immer häufiger bieberfieberkranke Jugendliche meine Follower-Liste bei Twitter aufzublähen drohten, habe ich mir dazu mal einige Gedanken gemacht. Ein paar Versuche, den Artikel in Print- und Online-Medien unterzubringen, waren damals gescheitert – hier nun die Nachreichung im Blog, quasi als Weihnachtsgabe.
Der Text ist in Teilen aktualisiert, allerdings sind manche Fan-Seiten inzwischen verschwunden (daher sind sie unten im Text nicht mehr verlinkt). Um die Dynamik der Fan-Kommunikation anzudeuten, habe ich die alten Social Web-Kennzahlen im Text gelassen, die Zuwachsraten seit dem Sommer sind, nun ja, erheblich.
An der wesentlichen Aussage des Textes möchte ich festhalten: das Fan-Netzwerk der „Belieber“ fällt in den Bereich der Do-it-Yourself-Medien und ist weniger als wahnhafte Fiebererscheinung, sondern eher als gemeinschaftliche Lernumgebung zu verstehen.
Und los geht´s:
Unter Biebern
Die Fans von Teenie-Star Justin Bieber nerven –
und nutzen das Internet dabei als Lernwelt
Seit er selbst gemachte Musikvideos bei YouTube hochgeladen hatte und daraufhin dem großen Musik-Business aufgefallen war, haftet Justin Bieber das Image des „Web 2.0“-Popstars an. Unterschlagen wird dabei oft, dass der erst 16-jährige Kanadier neben diesem heute fast schon klassischen Karriereeinstieg auch zahlreiche andere Plattformen des Social Web nutzt und dabei den Dialog mit einer ebenso jungen wie aktiven Fangemeinde sucht.
Natürlich ist Bieber bei MySpace präsent, dem typischen Sozialen Netzwerk für Musikinteressierte – dort hat er etwas mehr als eine Million Freunde, seine auf der Plattform verfügbaren Songs wurden schon mehr als 100 Millionen mal angespielt. Über vier siebzehn Millionen Menschen „gefällt“ auch seine Profilseite bei Facebook. Wenn Bieber einen Eintrag postet, kann das schon mal zu mehr als 5.000 10.000 Kommentaren führen – sowie zu weiteren 20.000 40.000 hochgereckten Daumen, die zumeist von eingefleischten Fans stammen. In einer Kombination aus „believe“ und „Bieber“ bezeichnen sich die treuen Anhänger als „Belieber“.
Trotz dieser enormen Reichweiten liegt das Zentrum der digitalen Fankultur bei Twitter. Dort hat @justinbieber mehr als 5,4 6,3 Millionen Follower. Damit rangiert er im Ranking von twitaholic.com derzeit auf Rang 5 3 – einen Rang hinter vor US-Präsident Obama. Noch erstaunlicher wirkt die Reichweite im Vergleich zum deutschen Sprachraum – die Erhebung von webevangelisten.de zählte im August Oktober etwa 270.000 350.000 aktive Twitter-Nutzer. Allein die Menge der twitternden „Belieber“ ist also etwa zwanzig achtzehn mal so groß wie der gesamte deutschsprachige Kurzmitteilungs-Raum.
In diesem auf 140 Zeichen konzentrierten Mikrokosmos haben sich ganz eigene Regeln entwickelt, die für eine erhebliche Dynamik innerhalb der Fangemeinde sorgen. Typische „Belieber“ verweisen schon im eigenen Profilnamen auf „ihren“ Star: Kombinationen wie @NinaBieber16, @JBLove1706 oder @GermanBelieber_ sind alles andere als selten. Ähnliches gilt für das Profilbild: anstelle des eigenen Fotos finden sich dort viel häufiger Portraits des Jungstars. Was vielen womöglich als Auswuchs eines internet-basierten Starkultes gilt, ist jedoch nicht viel mehr als eine zeitgemäße Erscheinungsform Starschnitt-tapezierter Jugendzimmer.
Die Suche nach der virtuellen Nähe zum Idol 2.0 findet auch in den Biografien der Twitter-Nutzer seine Fortsetzung. Begeisterte „Belieber“ üben sich hier in Szene-typischen Abkürzungen und kondensieren ihr Fan-Leben auf das Wichtigste: „Mein Name ist Roma und ich bin ein Belieber“ (@JBLove1706). Und wenn ein „Belieber“ tatsächlich einmal die Aufmerksamkeit des Stars erhält und von diesem „zurückgefolgt“ wird, muss das selbstverständlich genau festgehalten werden: „@justinbieber followed me on 04/14/10 ♥ He’s my 149th follower.“ (@GermanBelieber_)
Schon in der Kurzbiografie zeigt sich auch ein wesentliches Muster dieses digitalen Fantums, denn es wird auch heftig um neue Follower geworben: „Ich bin ein stolzer Justin Bieber Fan. Wenn du Justin liebst, folge mir“ (@KissingJDBieber). Davon machen die „Beliebers“ oft und gerne Gebrauch, unter anderem auch mit Twitter-Listen, die der Zusammenfassung möglichst vieler Netzwerk-Nachbarn dienen: „LIST ME PLEASE, i list everyone back 15x times :}”
Dadurch entsteht ein engmaschiges Fan-Netzwerk, das Twitter nahezu monothematisch und mit hoher Frequenz zum Austausch mit Gleichgesinnten nutzt. Diese horizontale Vernetzung ist auch der zentrale Grund, warum die „Belieber“-Szene in der Lage ist, selbst die Macher von Twitter zur Verzweiflung zu treiben. Mitte Mai hatte das Unternehmen einen neuen Algorithmus zur Errechnung der „Trending Topics“ installiert – in dieser auf zehn Begriffe begrenzten Liste sollen nur noch wirklich aktuelle „Trends“ auftauchen und nicht mehr der permanent populäre Name des Teenie-Stars.
Es verwundert nicht, dass bei einer derartigen „Identitätsverschränkung“ zwischen Fans und Star die Gruppendynamik auch bizarre Züge annehmen kann – gewissermaßen als Steigerungsform der „Belieber“ ist die „BieberArmy“ zu verstehen, eine lose Gruppe von Teilzeit-Freiwilligen, die im Namen des Biebers in den Kampf um dessen Vorherrschaft im Social Web zieht. Den neuen Twitter-Algorithmus hebelten die netzaffinen Fans aus, indem sie sich auf Codes wie „twieber“ oder „jieber“ verständigten, die dann doch wieder in den „Trending Topics“ landeten. Unter twieber.com war eine – inzwischen nicht mehr aktive – Twitterwall errichtet worden, die Kurznachrichten von und über den Star integriert hatte. Das Blog Biebbook imitiert dagegen den Look von Facebook, wo sich ebenfalls längst nicht mehr nur Fans und Freunde des Musikers finden.
Doch das digitale Durcheinander der Fan-Kommunikation muss nicht nur besorgte Blicke ernten: es lässt sich nämlich auch als aktive Aneignung medialer Praktiken verstehen, die auch im „richtigen Leben“ von Nutzen sein können. Als Kronzeuge für eine solche Argumentation kann hier der Kulturwissenschaftler Henry Jenkins gehört werden, der solchen beteiligungsorientierten Fankulturen eine „peer-to-peer-Erziehung“ zuschreibt: „Wir lernen voneinander beim Versuch zusammen zu arbeiten und dabei ein gemeinsames Ziel zu erreichen.“ In den USA hat sich für solche durch das Internet entstandenen Vergemeinschaftungen der Begriff der Do-It-Yourself-Medien geprägt. Jenkins ist Professor für Kommunikation, Journalismus und Kinematographie an der University of Southern California in Los Angeles, seine Forschungsschwerpunkte diskutiert er regelmäßig in seinem Weblog Bekenntnisse eines forschenden Fans: „Das Radikale am DIY-Ethos könnte sein, dass Lernen nur durch gegenseitige Unterstützung im Netzwerk funktioniert, Kreativität als Charaktermerkmal solcher Communities gilt und erst die Zusammenarbeit eine gemeinsame Ausdrucksform ermöglicht.“
In der Tat: das massenhafte Auftreten allein macht die „Beliebers“ noch nicht zu einer Gemeinschaft, erst durch die starke Vernetzung untereinander und konkrete Online-Aktionen werden die „Beliebers“ zu einer „Do-It-Yourself“-Community. Für deutsche Bieber-Fans kommt hinzu, dass der größte Teil der Kommunikation auf Englisch statt findet – das von Jenkins skizzierte Bild des „Lernens unter Gleichaltrigen“ erfolgt hier bereits auf der sprachlichen Ebene. Die Notwendigkeit, sich darüber hinaus auch mit den verschiedenen Plattformen und Werkzeugen der Online-Kommunikation auseinanderzusetzen, führt zu einer zwar selektiven, aber doch merklichen Verbesserung der Medienkompetenz. Twitter galt bislang in Deutschland nicht als ein nennenswerter Tummelplatz für Teenager – das könnte sich im Zuge der allmählich auch auf Deutschland übergreifenden „Biebermania“ bald ändern.
Da passt es ins Bild, dass „The Bieb“ inzwischen auch schon bei Chat-Roulette gesichtet wurde, der zur Zeit für viele übelsten Schmuddelecke des Internet. Auf der Website „chatrouletteexposed.com“, einer Sammelstelle für unwahrscheinliche Begegnungen im Zufalls-Chat, kursiert ein Screenshot, der Justin Bieber im Dialog mit drei typischen Fangirls zeigt. Und selbst wenn es sich hierbei um eine Fälschung handeln sollte, unwahrscheinlich erscheint die Episode angesichts der massiven Online-Präsenz des Sängers nicht. Irritiert-anerkennend notierte das MTV-Blog buzzworthy aus Anlass einer weiteren Bieber-Sichtung bei Chat-Roulette: „Wie um alles in der Welt, findest du die Zeit für einen Besuch bei Chat-Roulette? Na klar, du bist ja schließlich ÜBERALL!“