Folgt man den aktuellen Buchpublikationen zur „State of the City“, dann ist Los Angeles eine Stadt der erweiterten Gegenwart. Texte wie „City at the Edge of Forever“ (Peter Lunenberg) oder „Everything Now“ (Rosecrans Baldwin) verweisen auf die Gleichzeitigkeit verschiedener Dynamiken. Nach drei Monaten vor Ort kann ich dieser Wahrnehmung zustimmen – es fällt leicht, zwischen sehr zukünftigen Perspektiven (Olympia 2028, Klimawandel, Verkehrsinfarkt, homelessness als post-pandemisches Krisenphänomen etc.) und dem Blick zurück auf eigentlich Vergangenes zu wechseln (art deco– und mid century-Architektur, eine sehr lebendige Kino-Kultur (und ich meine nicht die Multiplex-Kisten, die es hier natürlich auch gibt)). An dieser Stelle kommt mein biografischer bias ins Spiel, denn es lässt sich hier gerade sehr gut in den 1980er-Jahren leben: im Radio laufen „The 80s on 8“ in hoher Rotation, zwischen Juli und September waren Soft Cell, Boy George, Duran Duran und Echo & the Bunnymen in der Stadt, das Wende Museum of the Cold War ist ein Ding und zur fortgeschrittenen Abendunterhaltung geht man in die Barcade – in dieser Kreuzung aus klassischer dive bar und Spielhalle stehen neben den notorischen Flipperautomaten alte Computerspielgeräte, an denen man für einen quarter eine Runde Pacman, Space Invaders oder Out Run spielen kann. Und warum auch nicht? Ja, ich weiß: Los Angeles als Zeitmaschine ist kein originelles Thema, aber es gibt nicht viele Orte, an denen das souveräne Nebeneinander verschiedener Schichten so gut gelingt wie hier.
