Archive for the ‘Wahlen’ Category

Election Day

Dienstag, 3. November 2020

Vielleicht ist es an der Zeit, eine alte Tradition wiederzubeleben – den Wahltagsblog. Zum ersten mal erprobt habe ich das Format 1996, damals noch improvisiert gemeinsam mit den Gießener Kollegen von SPoKK. Die vielleicht spektakulärste Form hat wohl der Eintrag von 2008 erreicht, damals durfte ich ja an der (ZDF-)Nacht im Netz mit Claus Kleber teilnehmen. Das war ein Spaß, aber eben auch, weil es die Nacht des Obama-Wahlsieges war. Vor vier Jahren war ich als Gast des Goethe-Instituts in Salvador/Bahia und habe dort in der Vila Sul einen Workshop zur US-Wahl durchgeführt – auch eine spannende Erfahrung mit einem seltsamen Ende.

Das heutige Titelmotiv der FAZ: Jasper Johns, „Map“. 1961. Öl auf Leinwand.

In diesem Jahr nun begleite ich die Ereignisse am Dienstag nach dem ersten Montag weitestgehend aus dem Home Office – allerdings gibt es verschiedene Engagements, die sich über den Tag verteilen und „in diesem Internet“ stattfinden. Zunächst werde ich am Nachmittag als Gast der virtuellen Zugreise „Go West“ der Bundeszentrale für politische Bildung in Osceola (Iowa) zusteigen und über politische Echtzeitkommunikation am Wahltag sprechen. Später in der Nacht ist ein „Zwischenruf“ in der ab 23 Uhr laufenden Zoom-Konferenz geplant, wenn eventuell die ersten Resultate aus dem „fast-counting-state“ Florida. Dazwischen liegen noch ein paar Kurzinterviews und ein Podcast-Gespräch für den frühen Morgen. Und außerdem noch reichlich Tweets, Insta-Posts und/oder Facebook-Notizen, einige davon versuche ich mal, hier mitzudokumentieren. Stay tuned.

Politische Echtzeitkommunikation am Wahltag ist natürlich nichts neues, das gab es tatsächlich auch schon in den (späteren) 1990er Jahren – begonnen hat es eher als idyllisch-folkloristische Berichterstattung über einen großen demokratischen Prozess: noch vor dem Aufkommen der digitalen Plattformen haben reichweitenstarke Online-Angebote Fotos (gelegentlich auch: Videos) von Bürger*innen eingesammelt und auf ihren Websites publiziert. Zustande kam so ein Kaleidoskop unterschiedlicher Abstimmungsformen – in der Stadt, auf dem Land, morgens, mittags, abends, mit Wahlcomputer, an der klassischen Urne, mit Warteschlange oder ohne und so weiter…

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Die New York Times hat einen instruktiven Artikel veröffentlicht, der die Wahltags-Aktivitäten der großen Netzwerke Facebook, Twitter und YouTube zusammenfasst. Ein Fokus der Plattformen liegt auf der Eindämmung und/oder Vermeidung von Fehlinformationen, die den Wahltag negativ beeinflussen können. Dabei geht es nicht nur um gezielte Fehlinformationen oder die Aktivitäten von Bot-Netzwerken, sondern auch Material von möglichen Zwischenfällen bei der Stimmabgabe oder vorzeitigen Siegeserklärungen. Am Abend vor der Wahl war der Amtsinhaber betroffen, ein Tweet von Donald Trump wurde als misleading gekennzeichnet und konnte nicht mehr weitergeleitet werden. Nach dem Schließen der Wahllokale wird auch das Ausspielen politischer Werbung gestoppt, auch diese Maßnahme dient wohl der Beruhigung und Absicherung des Auszählungsprozesses. Es scheint, als setzte sich bei den Anbieter allmählich die Erkenntnis durch, dass sie einen nicht unerheblichen Beitrag zu einer healthy political discussion leisten können – wenn sie das wollen.

An dieser Stelle noch kurz der Hinweis auf den CARTA-Beitrag „Welche Farbe hat Facebook?“ von gestern, den ich gemeinsam mit Klaus Kamps und Erik Meyer geschrieben habe. Darin klingen auch einige Überlegungen zur Echtzeitkommunikation am Wahltag an. Vertiefend dazu gehört an diese Stelle Eriks Materialsammlung zur Plattformisierung politischer Kommunikation.

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In diesem Jahr hat es einen eher seltsamen Vorlauf zu den meist eher beschaulichen Wahllokal-Fotos gegeben, nämlich vom Vorabend der Wahl und aus großen Städten. Gezeigt wurden die Sicherheitsvorkehrungen, die von Einzelhändlern, Bürger*innen oder auch von behördlicher Seite getroffen wurden. Hier sind Beispiele für Blockademaßnahmen aus Washington, Seattle und New York, vielleicht am eindrücklichsten ist dabei allerdings eine Mauer aus sehr soliden Betonteilen unmittelbar vor dem Weißen Haus.

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Wenig überraschend füllen sie die Twitter-Timelines am Wahltag allmählich mit Hinweisen auf mögliche voter suppressionhier ein Beispiel aus North Carolina. Und gleich noch eines. Der umkämpfte Bundesstaat (laut 538.com liegt Biden knapp vorne) scheint sich ohnehin zu einer Art „Hotspot“ zu entwickeln, denn einige Wahllokale konnten erst verspätet öffnen – die Folge sind wohl größere Verzögerungen bei der Stimmenauszählung.

Die Hinweise auf incidents am Wahltag verweisen stets auch auf die Schwierigkeiten einer Authentizitätsprüfung solcher Hinweise. Das Election Integrity Partnership hat in einem kurzen thread einige Aspekte zum Umgang mit post election violence zusammengefasst.

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Die Hashtags des Tages beginnen sich zu formieren: #ElectionDay, #VoteHimOut, (Dear America), #magicwall, #iherebyclaim.

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To be continued…

NRW: Too close to call

Freitag, 12. Mai 2017

Es ist mal wieder soweit: ein Landtagswahlkampf neigt sich dem Ende entgegen, die Zeit der „politischen Gesprächssendungen“ ist vorbei, die Wahlwerbespots sind versendet, die Flyer verteilt, die Stimmzettel gedruckt, die Wahlunterlagen versendet (die meisten jedenfalls, auf meine warte ich noch). Gerade sind noch einmal einige Umfragen erschienen (Bild/INSA, SAT1/YouGov, ZDF/FG Wahlen, Spiegel Online/Civey). Ordentlich (und in angenehm unbuntem HTML) informiert Wahlrecht.de mit den gesammelten Ergebnissen.

Was sagen uns die Umfragen? – das ist eine Frage, die ich im Laufe der Woche sehr oft gehört habe, ich habe darauf keine wirklich gute Antwort (und da bin ich nicht der einzige). Sicher kann man versuchen, aus den Daten der letzten Wochen (nicht: Tagen) gewisse Trends bzw. Einzeldynamiken herauszulesen, die zumindest etwas über die Performance der Parteien und deren Spitzenkandidat/innen aussagen können. Doch das ist nicht viel mehr als zwar unterhaltsame, aber nicht eben gut informierte „politische 1:0-Berichterstattung“ als Gegenstück zum US-amerikanischen horserace journalism. Und: Prognosen über den tatsächlichen Wahlausgang lassen auch diese Zahlenreihungen nicht zu – denn wie reagieren die Wähler auf die letzten Umfragen? Sorgen die zuletzt veröffentlichten Zahlen für eine Art priming-Effekt und überschreiben bisherige Überlegungen zur Stimmabgabe? Übersetzt sich der Vorsprung in der letzten Umfrage in den Sieg an der Urne am Sonntag? Was ist mit den Briefwählern, die schon längst abgestimmt haben? Am ehesten noch dürften die Zahlen auf das Kandidatenfeld und die sie begleitenden Journalisten wirken, die Stimmung auf den letzten Metern hängt sicher auch vom Ton der Berichterstattung ab und die Umfragen bieten bis zum Samstag auch Gesprächsstoff für die Abschlussveranstaltungen und den Smalltalk an den Info-Ständen.

Hat der Online-Wahlkampf Auswirkungen auf das Wahlergebnis? Auch diese Frage beschäftigt regelmäßig die Berichterstattung, üblicherweise wird sie mit einem „Im großen und ganzen nicht, aber…“ beantwortet. Das Online-Campaigning in Nordrhein-Westfalen fügt sich hier nahtlos in die Reihe der deutschen Digital-Wahlkämpfe ein, die sich durchaus informiert über die neuesten Entwicklungen zeigen, die Ansätze und Modelle aus den USA (auch für NRW ein Referenzwahlkampf wegen der zeitlichen Nähe) lassen sich aufgrund veränderter Ausgangsbedingungen aber nicht in gleicher Form realisieren. Trotzdem finden sich auch hier ähnliche Dynamiken (Renaissance des Haustürwahlkampfs, Erhebung und Einsatz ortsbezogener Wählerinformationen (zB mit der CDU-App connect17)) und sehr wohl gibt es auch kenntnisreiche Beiträge zur Online-Kommunikation (Video-Mashups mit FDP- und SPD-Material, Wahlspots im Mobilformat mit Youtube-Gesten bei den Grünen). Auffällig ist dabei sicher die Dominanz der AfD in den sozialen Netzwerken, aber das ist bei einer Parteiorganisation, die im Post-URL-Zeitalter aufgewachsen ist, nicht verwunderlich. Anders als bei den Piraten, die noch ein Wiki als zentrale Anlaufstelle für die parteiinterne Kommunikation genutzt haben, bilden nun Facebook-Seiten und Twitter-Profile den Kern des innerparteilichen Austauschs. So stabilisiert und stärkt sich der Zusammenhalt in den persönlichen Öffentlichkeiten und löst die AfD zu einem guten Teil aus der übrigen Wahlkampfkommunikation heraus. Innerhalb der eigenen Gruppe mag das erfolgreich sein, die Attraktion von unentschiedenen Wählern könnte so schwieriger werden. Und je stärker die anderen Parteien selbst mobilisieren können, desto schwieriger wird das Sichern von Proteststimmen für die AfD.

Was ist nun eigentlich mit dem Schulz-Effekt? Hier würde ich unterscheiden zwischen dem Aufmerksamkeitseffekt in den Medien (der sich in den vergangenen Wochen zunehmend abgenutzt hat) und dem Mobilisierungseffekt in Richtung der Parteiorganisation unterscheiden. Neben der kurzzeitigen Explosion der Umfragewerte hat die Nominierung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat eine Eintrittswelle in die SPD ausgelöst – wo aber sind denn nun all die Neulinge, die sich ein old-schooliges Parteibuch ins Regal gestellt haben? Sind die mehr als 10.000 Neumitglieder genau in den Landesverbänden eingetreten, die keine Wahlen vor sich haben? Waren die Eintritte nur symbolischer Natur? Wurden die aufnehmenden Ortsverbände überrascht und können sie die Neuankömmlinge nicht adäquat in die aktive Parteiarbeit einbinden? Der NRW-Landesverband ist mit etwa 117.000 Mitgliedern der mit Abstand stärkste in Deutschland, eigentlich hätte hier auch ein großer Teil der Neueintritte verzeichnet werden müssen. Was ist mit dieser (vermeintlich) hochmotivierten Gruppe passiert? Wo sind die aktiven, agilen Unterstützer im so wichtigen Wahlkampf vor der „kleinen Bundestagswahl“? Genau mit dieser spontanen Bewegungsenergie haben die Piraten in den Wahlkämpfen von 2011 und 2012 ihre Erfolge gefeiert, auch durch eine länderübergreifende Kooperation beim Plakatekleben und im Straßenwahlkampf. Kann es sein, dass die Sozialdemokraten (und auch die anderen Traditionsparteien, die als Reaktion auf die AfD-Erfolge ebenfalls über Eintritte jubeln) nicht in der Lage sind, eine kurzfristige Politisierung in spür- und sichtbare Dynamiken umzuwandeln? Und selbst wenn es sich bei den Trittbrettfahrern des Schulzzugs nur um junge, netzaffine Politik-Hipster handeln sollte – nicht einmal im Bereich des clicktivism, der rein digital geäußerten Unterstützung stechen die Follower- und Fan-Zahlen der SPD-Community besonders hervor. Ja, der Vorrat an Schulz-Memes ist beträchtlich, doch die Konversion in analoge Unterstützung ist bisher eher mangelhaft. Man darf gespannt sein, ob sich im Falle einer erneuten Wahlniederlage die Stimmung wandelt und der bislang unantastbare „Gottkanzler“ auch online Gegenwind erhält. Frei nach Bill Murray und dem anderen Zauberlehrling: Die GIFs, die ich rief, werd´ich nun nicht mehr los…

Und wo stehen wir nun am Wahlwochenende? Vor einer noch lange nicht entschiedenen Landtagswahl, deren Ergebnis aber wiederum nicht als Signal für die Bundestagswahl gelten kann. Bestenfalls stellen sich mit dem Wahlausgang in NRW einige Weichen für die Kampagnenplanung im Sommer neu – wie kann die SPD nach einer möglichen Großen Koalition im größten Bundesland glaubhaft in einen Wahlkampf gegen Angela Merkel und die Koalition im Bund gehen? Bringen die Düsseldorfer Koalitionsbemühungen neue, auch bundesweit erfolgversprechene Bündnisse hervor? Sorgt der ungewisse Wahlausgang für eine höhere Beteiligung oder bleiben die Wähler unbeeindruckt? Welche Folgen haben die internen Richtungs- und Führungskämpfe der AfD?

Fragen über Fragen – am Sonntag abend wissen wir mehr, bis dahin muss es wohl heißen: Too close to call.

 

Jornal do Sul: Eleições no Norte

Samstag, 5. November 2016

Die erste Woche in Salvador ist inzwischen vorüber – etwas Zeit habe ich durch eine Erkältung verloren (deshalb auch: wenig los im Blog). In der Tendenz waren Klima und Klimaanlagen wohl nicht ganz schuldlos. Die Jahreszeit vielleicht auch. Egal. Trotzdem habe ich mich hier gut eingewöhnt und bin in die aktuellen Residenz-Routinen eingestiegen: lesen, recherchieren und planen.

Das ist auch nötig, denn schon am kommenden Dienstag organisiere ich hier in der Vila Sul einen Workshop zur Wahl in den USA. Gemeinsam mit dem Team des Goethe-Instituts, den Mit-Residenten und einigen Angehörigen der hiesigen Uni schauen wir uns den Verlauf der Stimmenauszählung an und kommentieren das Geschehen auf der anderen Seite des Kontinents. Ein programmatisches Ziel der Residenz ist ja, den Begriff des „Globalen Südens“ als Orientierungspunkt zu begreifen – insofern wirkt eine Veranstaltung zu den eleições vielleicht etwas überraschend. Andererseits gibt es hier in Salvador durchaus ein starkes Interesse an den Entwicklungen im Norden (nebenbei ganz interessant, mal nicht über den „Westen“ zu sprechen, wenn es um die USA geht), und das ist durchaus auch ein Treiber für die Veranstaltung am nächsten Dienstag.

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Köln wählt (oder auch nicht)

Donnerstag, 3. September 2015

Zur Zeit wird jede Menge Spott über die Stadt Köln ausgeschüttet – verantwortlich dafür ist dieses Mal nicht der FC, sondern die Stimmzettel-Panne im Vorfeld der eigentlich für den 13. September angesetzten Oberbürgermeister-Wahl. Nicht allein Pressestimmen aus Düsseldorf beschrieben hämisch die Ereignisse in der Domstadt, auch überregionale Medien äußerten Unverständnis und Kritik, manche Beiträge zogen Parallelen zu anderen gescheiterten Großprojekten wie der U-Bahn-Erweiterung und der Sanierung der Oper. (Update: Einen guten Einstieg liefert die Twitter-Suche nach dem Hashtag #OBWahl.)

Der eigentliche „Fall“ – eine Ungleichbehandlung der Kandidaten durch die Gestaltung des Stimmzettels – ist an verschiedenen Stellen vorgestellt und diskutiert worden, vgl. dazu etwa die Themensammlung des Kölner Stadtanzeiger, den Beitrag des WDR,  oder den Bericht in der Süddeutschen Zeitung. Als Hauptleidtragende gilt die parteilose Kandidatin Henriette Reker, deren Name in kleiner Schrift an sechster Stelle aufgeführt war, während ihr Konkurrent Jochen Ott nicht nur die prominente erste Tabellenzeile belegt, sondern zudem „Unterstützung“ eines großen SPD-Schriftzuges erhält. Nun kann man darüber streiten, ob Parteien bzw. deren Namen derzeit tatsächlich positive Wirkungen auf die Kampagnen von Direktkandidaten haben, doch als neutral ist die „Aufmerksamkeitslenkung“ durch das Kölner Wahlzettel-Design gewiss nicht zu bezeichnen. Und genau dies hat offenbar genügt, um nach einer Prüfung der Regularien in der Kommunalwahlverordnung die Wahl vorerst zu verschieben.

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