Archive for the ‘Web 2.0’ Category

#1550zeichen: You are now entering the Immunization Area

Montag, 18. Juli 2022

Seit Wochen steigen die Covid19-Zahlen in Kalifornien und das nächste „mask mandate“ liegt in der Luft – der Grenzwert in der Stufe „high“ ist erreicht und wenn dieser Zustand noch etwa eine Woche anhält, dann gilt in LA County auch wieder eine weitreichende Maskenpflicht. Das Thema beschäftigt natürlich auch die Insassen des Thomas Mann House – also fand ich mich nach ausführlicher Lektüre diverser Informationsmaterialien am gestrigen Sonntag in der lokalen „Integrative Pharmacy“ wieder und wartete auf meinen zweiten Booster-Shot. Weil Wochenende war, konnte ich kein Online-Anmeldeformular ausfüllen und musste mich so mit der diensthabenden Ärztin auseinandersetzen. Nach kleineren Irritationen händigte ich der freundlichen Fachkraft meinen Reisepass und das vorsorglich mitgeführte Impfbuch (gelbes Original aus den 1970er Jahren) aus. Die Dokumente wurden kopiert und etwas später öffnete sich für mich die Tür zur „Immunization Area“ im hinteren Teil der Drogerie-Apotheke. Dort war es dann so wie im handelsüblichen Impfzentrum in Deutschland: „Haben Sie Symptome? Sind Sie allergisch? Was passierte nach den ersten Impfungen?“ Und zack, schon saß der vierte Shot im Arm. Danach 15 Minuten warten, nur eben zwischen Zahnpasta, Blasenpflastern und Gehhilfen. Schließlich hielt ich stolz meine CDC Covid-19 Vaccination Record Card in der Hand. Wie man dieses Dokument in ein in Europa anerkanntes digitales COVID-Zertifikat verwandeln kann, ist ein anderes Thema. Im Auswärtigen Amt weiß man dazu leider noch nichts genaueres. Stay tuned.

#1550Zeichen: Als Thomas Mann den Podcast erfand

Samstag, 16. Juli 2022

Am Montag Dienstag spreche ich mit Deutschlandfunk Kultur, und zwar mit Carina Schroeder für eine Episode des „Über Podcast“-Podcasts. Im Beitrag geht es um das Verhältnis von Aktivismus, Journalismus und Öffentlichkeit. Der Ort der Aufzeichnung könnte passender nicht sein – für solche Formate ziehen sich die Fellows im Thomas Mann House in die „Study“ des Patrons zurück, dort ist es ruhig, es gibt einen Ethernet-Anschluss und die Regale und Bücher bilden einen guten akustischen Hintergrund. Außerdem wurde hier quasi das Podcasten erfunden, nur hieß das damals nicht so – zwischen 1940 und 1946 entstanden hier die 55 Radioansprachen mit dem Titel „Deutsche Hörer!“, mit denen der exilierte Nobelpreisträger in Kriegszeiten (und danach) die deutsche Bevölkerung zu erreichen suchte. Anders als heute gestalteten sich Aufnahme und Distribution allerdings sehr viel komplizierter – zunächst verfasste Mann lediglich die Texte, schickte sie nach London und ein „deutschsprachiger Angestellter der BBC“ las sie zur Ausstrahlung vor. Ab März 1941 übernahm Mann das Einsprechen jedoch selbst. Im „Recording Department der NBC“ wurde eine Schallplatte als Zwischenspeicher produziert, nach New York geschickt und von dort telefonisch nach London übertragen. Inzwischen sind die Ansprachen sorgfältig dokumentiert und annotiert, so dass man nun auch von zahlreichen „Shownotes“ sprechen könnte. Die Ähnlichkeiten sind auffällig, sicher gibt es dazu auch schon medienhistorische Abhandlungen – vielleicht frage ich dazu gleich mal meinen Co-Fellow Claus Pias

#1550Zeichen: Die USA werden kleiner

Sonntag, 10. Juli 2022

Es klang in den letzten Wochen an verschiedenen Stellen immer wieder mal an, jetzt hat es Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda in einem Blogbeitrag genauer notiert: die auswärtige Wissenschaftspolitik steht vor erheblichen Einschnitten, der DAAD, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und das Goethe-Institut müssen massive Kürzungen hinnehmen. Die Folgen werden sich nicht erst durch künftig niedrigere Studierenden- und Doktorand:innenzahlen zeigen oder durch weniger internationale Gäste an deutschen Hochschulen. Hier in den USA zeigen sich bereits ganz unmittelbare Effekte: so sind die in den letzten Jahren an verschiedenen Standorten eingerichteten „Goethe Pop Ups“ seit Ende Juni geschlossen. Das waren kleine, agile Projekträume, die als Basis für Konzerte, Ausstellungen oder Vorträge genutzt wurden – und zwar an Standorten, die etwas abseits der üblichen Reisewege durch die USA liegen. Auch ich hatte die Pop Ups in Seattle, Houston und Kansas City für Stippvisiten eingeplant, etwa um im Jahr der Midterms einige Eindrücke aus dem „flyover country“ zu sammeln – jenem Teil des großen, weiten Landes, das man als Besucher aus Deutschland eher nicht zu Gesicht kommt. Doch das ist ja nur meine sehr kleinteilige Perspektive – der internationale Schaden, den dieses Kürzungssignal nach sich zieht, wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. Und dabei lautet der erste Satz des Koalitionsvertrags im Wissenschaftskapitel doch: „Deutschland ist Innovationsland“. Wenn das also eine dieser Innovationen ist – vielen Dank. Nicht.

#1550zeichen: Zehn ist mehr als Zwölf

Donnerstag, 7. Juli 2022

An der University of California, Los Angeles (kurz: UCLA) gab es in dieser Woche nur ein Thema: den Wechsel der Sport-Teams von der Pac-12 in die Big Ten-Liga. Wie bitte, das ist ein Wissenschaftsthema? Ja, denn dahinter steckt eine Menge Geld und die direkte Verbindung zur Hochschulfinanzierung. Fast alle der insgesamt 25 Sport-Teams wechseln von der eher auf die Westküste ausgerichteten Pac-12-Liga in die im Nordosten verankerte Big Ten Conference. Wesentlicher Auslöser ist das in den letzten drei Jahren auf mehr als 100 Millionen Dollar angewachsene Defizit des „Athletic Department“ der UCLA. Eigentlich spülen die Sportabteilungen der US-amerikanischen Hochschulen Geld in die Kassen ihrer Organisationen, denn ähnlich wie die Clubs der europäischen Fußballligen profitieren sie von enormen Einnahmen durch den Verkauf von Medienrechten. Ganz offensichtlich fließt das Geld in einem anderen Teil der USA aber zuverlässiger als im Einzugsbereich der Pac-12 – mit dem Wechsel der UCLA (und der auch in L.A. gelegenen University of Southern California, USC) steigt das Volumen des nächsten Rechtedeals voraussichtlich auf etwa eine Milliarde Dollar – von diesem Kuchen wollen nun auch UCLA und USC etwas haben, um die eigenen Etats auszugleichen oder zu stützen. Vor allem durch Einschnitte im Zuge der Covid-Pandemie hat der Hochschulsport überall in den USA gelitten. Für die Schwierigkeiten der sportlichen Studierenden gibt es auch schon einen Namen: Athletic Angst. Zumindest in Los Angeles ist diese Furcht für´s erste jedoch vertrieben.

#1550Zeichen: Notizen vom San Remo Drive

Donnerstag, 7. Juli 2022

Ich habe das hier schon mal geschrieben und ich wiederhole mich: Dies ist ein Reiseblog. Seit dem 1. Juli bin ich als Fellow zu Gast im Thomas Mann House in Pacific Palisades. Beworben hatte ich mich im Januar 2020 mit einem Projekt zum Thema „Ethics of the Smart City“, das eigentlich im Sommer 2021 hätte durchgeführt werden sollen. Mit einem Jahr Verspätung (danke, Covid-19) geht es nun endlich los. Hier ist ein kurzer Twitter-Thread, in dem die Eckpunkte des Projekts beschrieben sind.

Nach dem Einzug in eines der Fellow-Apartments habe ich mit den Arbeiten am Projekt begonnen – allerdings gibt es hier so viele interessante Personen, Ereignisse und Beobachtungen, die auch registriert und kommentiert werden können. Manches davon findet sich auf Twitter, anderes auf Facebook. Und auch hier im Blog möchte ich immer mal wieder ein paar Dinge notieren. Für´s erste versuche ich es mit der ein oder anderen Miniatur, formal beschränkt auf 1550 Zeichen. Das ist kein Zufall, sondern die Hausnummer der Mannschen Residenz am San Remo Drive. Mal sehen, ob und wie gut das funktioniert.

Ach ja: Erscheinen werden die Beiträge an wechselnden Tagen, aber immer um 15:50 Uhr, ist ja klar.

Election Day

Dienstag, 3. November 2020

Vielleicht ist es an der Zeit, eine alte Tradition wiederzubeleben – den Wahltagsblog. Zum ersten mal erprobt habe ich das Format 1996, damals noch improvisiert gemeinsam mit den Gießener Kollegen von SPoKK. Die vielleicht spektakulärste Form hat wohl der Eintrag von 2008 erreicht, damals durfte ich ja an der (ZDF-)Nacht im Netz mit Claus Kleber teilnehmen. Das war ein Spaß, aber eben auch, weil es die Nacht des Obama-Wahlsieges war. Vor vier Jahren war ich als Gast des Goethe-Instituts in Salvador/Bahia und habe dort in der Vila Sul einen Workshop zur US-Wahl durchgeführt – auch eine spannende Erfahrung mit einem seltsamen Ende.

Das heutige Titelmotiv der FAZ: Jasper Johns, „Map“. 1961. Öl auf Leinwand.

In diesem Jahr nun begleite ich die Ereignisse am Dienstag nach dem ersten Montag weitestgehend aus dem Home Office – allerdings gibt es verschiedene Engagements, die sich über den Tag verteilen und „in diesem Internet“ stattfinden. Zunächst werde ich am Nachmittag als Gast der virtuellen Zugreise „Go West“ der Bundeszentrale für politische Bildung in Osceola (Iowa) zusteigen und über politische Echtzeitkommunikation am Wahltag sprechen. Später in der Nacht ist ein „Zwischenruf“ in der ab 23 Uhr laufenden Zoom-Konferenz geplant, wenn eventuell die ersten Resultate aus dem „fast-counting-state“ Florida. Dazwischen liegen noch ein paar Kurzinterviews und ein Podcast-Gespräch für den frühen Morgen. Und außerdem noch reichlich Tweets, Insta-Posts und/oder Facebook-Notizen, einige davon versuche ich mal, hier mitzudokumentieren. Stay tuned.

Politische Echtzeitkommunikation am Wahltag ist natürlich nichts neues, das gab es tatsächlich auch schon in den (späteren) 1990er Jahren – begonnen hat es eher als idyllisch-folkloristische Berichterstattung über einen großen demokratischen Prozess: noch vor dem Aufkommen der digitalen Plattformen haben reichweitenstarke Online-Angebote Fotos (gelegentlich auch: Videos) von Bürger*innen eingesammelt und auf ihren Websites publiziert. Zustande kam so ein Kaleidoskop unterschiedlicher Abstimmungsformen – in der Stadt, auf dem Land, morgens, mittags, abends, mit Wahlcomputer, an der klassischen Urne, mit Warteschlange oder ohne und so weiter…

***

Die New York Times hat einen instruktiven Artikel veröffentlicht, der die Wahltags-Aktivitäten der großen Netzwerke Facebook, Twitter und YouTube zusammenfasst. Ein Fokus der Plattformen liegt auf der Eindämmung und/oder Vermeidung von Fehlinformationen, die den Wahltag negativ beeinflussen können. Dabei geht es nicht nur um gezielte Fehlinformationen oder die Aktivitäten von Bot-Netzwerken, sondern auch Material von möglichen Zwischenfällen bei der Stimmabgabe oder vorzeitigen Siegeserklärungen. Am Abend vor der Wahl war der Amtsinhaber betroffen, ein Tweet von Donald Trump wurde als misleading gekennzeichnet und konnte nicht mehr weitergeleitet werden. Nach dem Schließen der Wahllokale wird auch das Ausspielen politischer Werbung gestoppt, auch diese Maßnahme dient wohl der Beruhigung und Absicherung des Auszählungsprozesses. Es scheint, als setzte sich bei den Anbieter allmählich die Erkenntnis durch, dass sie einen nicht unerheblichen Beitrag zu einer healthy political discussion leisten können – wenn sie das wollen.

An dieser Stelle noch kurz der Hinweis auf den CARTA-Beitrag „Welche Farbe hat Facebook?“ von gestern, den ich gemeinsam mit Klaus Kamps und Erik Meyer geschrieben habe. Darin klingen auch einige Überlegungen zur Echtzeitkommunikation am Wahltag an. Vertiefend dazu gehört an diese Stelle Eriks Materialsammlung zur Plattformisierung politischer Kommunikation.

***

In diesem Jahr hat es einen eher seltsamen Vorlauf zu den meist eher beschaulichen Wahllokal-Fotos gegeben, nämlich vom Vorabend der Wahl und aus großen Städten. Gezeigt wurden die Sicherheitsvorkehrungen, die von Einzelhändlern, Bürger*innen oder auch von behördlicher Seite getroffen wurden. Hier sind Beispiele für Blockademaßnahmen aus Washington, Seattle und New York, vielleicht am eindrücklichsten ist dabei allerdings eine Mauer aus sehr soliden Betonteilen unmittelbar vor dem Weißen Haus.

***

Wenig überraschend füllen sie die Twitter-Timelines am Wahltag allmählich mit Hinweisen auf mögliche voter suppressionhier ein Beispiel aus North Carolina. Und gleich noch eines. Der umkämpfte Bundesstaat (laut 538.com liegt Biden knapp vorne) scheint sich ohnehin zu einer Art „Hotspot“ zu entwickeln, denn einige Wahllokale konnten erst verspätet öffnen – die Folge sind wohl größere Verzögerungen bei der Stimmenauszählung.

Die Hinweise auf incidents am Wahltag verweisen stets auch auf die Schwierigkeiten einer Authentizitätsprüfung solcher Hinweise. Das Election Integrity Partnership hat in einem kurzen thread einige Aspekte zum Umgang mit post election violence zusammengefasst.

***

Die Hashtags des Tages beginnen sich zu formieren: #ElectionDay, #VoteHimOut, (Dear America), #magicwall, #iherebyclaim.

***

To be continued…

House of Frames

Montag, 16. Dezember 2019

Die US-Präsidentschaftswahl ist nicht mal mehr ein Jahr entfernt und doch spielt der Auswahlprozess für den demokratischen Kandidaten-Hotspot nicht die erste Geige in der öffentlichen Wahrnehmung. Zumindest nicht direkt, denn auch während des Impeachment-Verfahrens gegen den Präsidenten ist die Performance der presidential hopefuls um Joe Biden, Elisabeth Warren, Pete Buttigieg oder Michael Bloomberg eine wichtige Themenlinie, aber eben nicht die Hauptsache.

Gemeinsam mit Klaus Kamps habe ich mich dem Amtsenthebungsverfahren in den letzten Wochen in ein paar kleineren Textstücken angenähert (irgendwie muss man ja den Überblick behalten), unter dem Titel House of Frames erscheinen die Essays drüben bei den freundlichen Kolleg*innen von CARTA.info. Auf eine gewisse Weise schreiben wir so an unserem Band Nach Obama. Amerika auf der Suche nach den Vereinigten Staaten weiter, aber es ist irgendwie auch etwas anderes.

Bisher erschienen sind der Opener zum Kampf um die öffentliche Meinung und ein erster Follow-Up über den Schlagabtausch via Facebook-Anzeigen. Beitrag Nummer Drei ist gerade im Review, es ist eine kleine Reflexion über Verfassungskonstruktion durch die Framers, die sich vor einem übergriffigen Ersatzkönig hatten schützen wollen.

Stay tuned!

#TelAviv: Zwei Tage im Durchlauferhitzer

Freitag, 31. Mai 2019

Was bringt ein kurzes Abtauchen in das Startup-Ökosystem der israelischen Tech-Metropole Tel Aviv? Vor allem eine ganze Menge Einblicke in eine völlig anders strukturierte Gemengelage zwischen Tech-Industrie, staatlichen Institutionen, Universitäten, internationalen Unternehmen und dem Militär. (Okay, und natürlich auch jede Menge Hummus, Kebab, Shakshuka, Tahini und wie das ganze gute Essen eben so heißt.)

Grund für die Reise ans östliche Ende des Mittelmeers war die Konferenz How does Innovation grow? Together!, die im Rahmen der Ruhrkonferenz durch das NRW Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales im Verbund mit der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer ausgerichtet wurde. Meine Rolle war dabei die Moderation einer Fishbowl-Session zum Thema Cybersecurity, in die ich durch meine aktuelle Tätigkeit am Center for Advanced Internet Studies in der NRW-Sicherheitsmetropole Bochum hineingeraten bin. Die Session war nicht unspannend, denn wider Erwarten führt ein in Israel spürbar anderes „Sicherheitsklima“ nicht zwingend auch zu einem besseren Verständnis für Cybersecurity bei den Nutzern vor Ort – das privacy paradox lebt auch in der Weißen Stadt weiter, die Passwörter sind in Tel Aviv nicht origineller (oder sicherer) als in Deutschland.

Das dichte Programm für die NRW-Delegation war als Wechsel aus Impulsen bei israelischen Startups, Berichten von der internationalen High-Tech-Front sowie Besuchen bei Projekten, Agenturen und Universitäten gestaltet. So sind dann auch schon die Eckpunkte des vielgerühmten Ökosystems der Startup Nation benannt: damit es den lokalen Startups gut geht, kooperiert ein Netz aus staatlichen Einrichtungen (wie die Israel Innovation Authority), den Universitäten und dem Militär (sic!) eng mit internationalen Playern, die sich längst auch in Tel Aviv niedergelassen haben. Zwischen den verschiedenen Knotenpunkten gibt es eine Art revolving door-System, das einen (mehrfachen) Wechsel der Seiten erlaubt. Dynamik ist sowieso ein wichtiges Stichwort in Israel, Stillstand ist dort scheinbar nicht erlaubt. Die Zauberformel für die Tech-Szene geht so: Startup – Grow up – Exit – Repeat.

(more…)

Midterms: Election Day

Dienstag, 6. November 2018

It´s on. Amerika wählt. Ich versuche es heute mal mit einem kleinen Live-Blog aus Washington DC – sofern unsere Meetings das hergeben.

Das Republican National Comittee empfängt uns am Wahltag in einem unscheinbaren Büro im Rücken des Kapitol, dort treffen wir Wahlkampfmanager Justin Johnson und den chief digital officer Doug Hochberg. Der Kavanaugh-Hearing als Initialzündung für republikanische campaign activity und schließlich auch turnout. Dabei gibt es Übereinstimmung, dass eine Verbindung des digitalen fine tuning der Kampagne mit dem organizing the turf vor Ort der Schlüssel zum Erfolg ist. „Jede Handlung ist eine daten-basierte Aktivität“ betont Johnson. Das RNC konzentiert sich völlig auf das campaigning in den Wahlbezirken, es schaltet keinerlei TV-Ads, das überlasst man den Kandidaten und den (Super) PACs. Häufig kommt es in the field zu Verbindungen zwischen paid staffers und den ehrenamtlichen volunteers, die nicht selten 25 bis 30 Stunden Wochenarbeitszeit investieren (die Einschätzung zur Arbeitsteilung zwischen analog und digital deckt sich mit den Aussagen am Leadership Institute von gestern).

Hochberg berichtet über die Schwierigkeiten einer gut abgestimmten targeting-Arbeit, die zu großen Teilen aus dem Testen von maßgeschneiderten Botschaften für bestimmte Zielgruppen besteht: „Fehlgeleitete Informationen sind teuer und stören die eigene Operation.“ Das klingt manchmal nach dem Versuch, ein lernendes System zu entwickeln – allerdings (noch) ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz. Angesichts der völlig anders gelagerten datenrechtlichen Situation und dem erschwerten Zugriff auf Wählerdaten in Deutschland zuckt er zusammen: „Dann könnte ich meine halbe Abteilung entlassen.“

***

Der heutige Tag wird auch zeigen, inwiefern sich die Ablehnung der politischen Gegenseite weiter verstärkt. Carroll Doherty vom Pew Research Center bezeichnet die partisan antipathy als eine Vorstufe zur Polarisierung. Damit setzt sich ein Trend fort, der auch im Bereich privater Kontakte zu beobachten ist – immer mehr Menschen sagen, sie haben nur a few friends among the other party und der politische Gegner wird immer häufiger als „Bedrohung“ betrachtet. Die Umfragewerte hierzu haben sich seit den 1990er Jahren beinahe verdoppelt. Und: Die politische Polarisierung ist besonders stark unter den politisch Aktiven.

Die Reaktionen auf die Diversifizierung des Wählermarktes ist bisher ein eher einseitiger Prozess – die Demokraten sprechen stärker andere ethnische Gruppen als nur white people an, eine zentrale Gruppe für die Republikaner (und insbesonders für den Präsidenten) sind die non college whites, also die schlecht gebildeten weißen Wähler. Die Fokussierung folgt einer klaren Reichweitenlogik: noch immer stellen die white americans die Mehrheit der Wähler, die nonwhites bilden nur ein Viertel der aktiven Wählerschaft.

Als besonderes race of interest bezeichnet Doherty die Gouverneurswahl in Florida: Dort treten a very liberal democratic candidate und ein republican candidate who could´nt be more pro-Trump gegeneinander an. Florida gilt damit als ein Labor und Experimentierfeld für das, was auf US-Politik insgesamt zukommt: There is no middle ground in this election.

***

Bei der Visite des Moscow Project beim Center for American Progress stehen Sicherheitsbedenken im Wahlprozess im Vordergrund. Max Bergmann hat die russischen Eingriffe im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2016 untersucht und fasst die Lage zusammen. Es gibt bereits Stimmen, die die Midterms als Testlauf für neue russische Cyber-Angriffe bei den Wahlen 2020 ansehen (vgl. Ellen Nakashima in der Washington Post. Bergmann formuliert dabei zugleich einen Vorwurf an den Senat – ein co-sponsored bill, das mit demokratischer und republikanischer Unterstützung in den Gesetzgebungsprozess eingebracht werden sollte, fand keine Berücksichtigung, weil Mitch McConnell als Führer der Senatsmehrheit das Anliegen nicht zur Weiterverfolgung und Abstimmung vorgeschlagen hatte. Die dezentrale Organisation der Wahlen auf bundesstaatlicher Ebene kann vielleicht noch als „Sicherheitsfeature“ betrachtet werden (es ist (etwas) schwieriger, 50+ einzelne Wahlplattformen zu beeinflussen, als eine zentrale Wahlveranstaltung. In Ansätzen kommt dabei auch die Frage nach einer Manipulation von Wahlgeräten auf, immerhin in 13 Staaten werden ausschließlich Wahlcomputer (i.d.R. Touchscreen-Geräte) eingesetzt – einheitliche, in allen Staaten verbindliche Regeln gibt es nicht.

Offen bleibt die Frage, wieviel von der Debatte um Cyber-Sicherheit im Wahlprozess bis in die breite Öffentlichkeit gelangt. Inwiefern kann unter den u.a. von Greg Miller in The Apprentice geschilderten Umständen noch erwartet werden, dass die politische Kommunikation im Vorfeld von Wahlen eine hohe Integrität aufweisen kann?

***

Der vorerst letzte Stopp für heute findet in den Räumen der MSL Group statt, dort informieren Archie Smart über digitales Campainging aus Agentursicht. Die Ausgaben für digitale Wahlwerbung sind seit 2014 (wieder einmal) rapide gestiegen: von 271 Millionen auf 1,8 Milliarden Dollar. Und dennoch ist das Gesamtvolumen der Digitaletats sehr viel kleiner als die Ausgaben für TV Ads – nur etwa 20% fließen in Online-Inhalte.

Auch die anderen Kennzahlen steigen, es werden viel (viel, viel) mehr Datenpunkte erhoben und genutzt als in den Vorjahren. Besonders angesagt sind in diesem Zyklus die peer-to-peer-Textnachrichten (das haben wir auch schon in Ohio gehört): vor den Midterms werden ca. 100 Millionen solcher Nachrichten versendet. Diese Werbeform gilt als besonders niederschwellig für die Anwender und generiert auch Feedback durch die Wähler/innen. Als künftige Gefahren gelten dark texts (Nachrichten, die unreguliert und unbeobachtet in Messenger-Diensten wie whatsapp versendet werden) oder deep fakes, also gefälschte Audio- und/oder Video-Botschaften, die zum Beispiel dem politischen Gegner untergeschoben werden.

Ein weiterer, letzter Hinweis auf die gestiegene Bedeutung der Digitalkampagnen findet sich auch im Personaltableau des aufziehenden Präsidentschaftwahlkampfs. Das Wahlkampfteam von Donald Trump wird nicht von einem klassischen Campaigner, Spin Doctor, Fundraiser oder Public Affairs-Experten geleitet, sondern von Brad Parscale, der bislang die Digitalstrategie verantwortet hat.

***

To be continued. (In 2020).

Midterms: Field Office Fury

Samstag, 3. November 2018

Tag 2, unterwegs in Cleveland und Umgebung: Wir beginnen den Tag mit der Visite bei Dave Greenspan, einem Abgeordneten im Ohio State House, der in seinem Wahlkreis westlich von Cleveland zur Wiederwahl ansteht. Das Wochenende steht im Zeichen der Mobilisierung „sicherer“ Wählerstimmen, das Mittel der Wahl ist das klassische canvassing. Dafür sammeln sich die lokalen Unterstützer vor dem field office, das sich erneut in einem gesichtslosen Mehrzweckbau in den weit gefächerten Vorstadtbereichen befindet. Bevor es losgeht, gibt er den volunteers in einer kleinen knock-off-speech ein paar warme Wort mit auf den Weg – Beteiligungswahlkampf aus dem Bilderbuch, wenn man so will.

Inhaltlich interessant ist die Abgrenzung die Greenspan vornimmt, denn er führt eigentlich zwei Wahlkämpfe: „We are campaigning against the opposition and, well, also against the president. We don´t like his rhetoric, we don´t like his demeanor, we don´t like his style.“ Ähnliches hört man hier zwar öfter, aber bislang noch nicht so deutlich und offen. Inwiefern die Trennung zwischen state und federal politics in der Praxis allerdings funktioniert, steht auf einem anderen Blatt.

(more…)