Archive for the ‘Wissenschaft’ Category

Ethik unterwegs: Zürich

Freitag, 25. Januar 2013

Vor einigen Tagen ging die Exkursion des neuen Master-Jahrgangs an der NRW School of Governance zu Ende – im Rahmen des diesjährigen Haniel Master Course führte uns die #nrwxzh an das Ethik-Zentrum der Universität Zürich (UZH). Ähnlich wie bei meiner Visite am Markkula Center for Applied Ethics ist dies Anlass für ein paar Gedanken über die Funktionsweise und Ausrichtung von Ethik-Zentren.

Vorab zum Rahmen: Unsere Seminargruppe befasst sich im laufenden Semester vertiefend mit ethischer Politikberatung, aus diesem inhaltlichen Bezug heraus entstand die Idee für eine Reise in die Schweiz. Dank der freundlichen Aufnahme und großen Unterstützung von Prof. Dr. Markus Huppenbauer war die Organisation einer „Mini-Konferenz“ möglich, die den Studierenden (und dem Lehrstuhl-Team) nicht nur Einblicke in die Arbeitsweise des Zentrums, sondern auch in aktuelle Forschungsprojekte erlaubte. Anders als bei konventionellen Exkursionen, die zu großen Teilen aus einer Art „Venue-Hopping“ bestehen und sbei denen Seminargruppen wild durch den jeweiligen Exkursionsort gescheucht werden, fanden alle Sessions im so genannten „Kutscherhaus“, dem Seminargebäude des Zentrums statt. Das Resultat waren ein Crash-Kurs in „Ethischer Entscheidungsfindung“, ein theoriegesättigter Vortrag über Klimagerechtigkeit und Demokratie, eine umfassende Einführung in Fragen von Medienqualität und Medienethik sowie eine Auseinandersetzung mit dem Konzept Sozial Verantwortlichen Investierens.

An der Zürcher Konstruktion lässt sich sehr gut die aktuelle Dynamik dieses Forschungsbereichs zeigen: die Basis bildet der Zusammenschluss des Instituts für Sozialethik, der Arbeits- und Forschungsstelle für Ethik sowie dem Institut für Biomedizinische Ethik zum „Ethik-Zentrum“ – (inzwischen) klassische Eckpfeiler der Ethik im Wissenschaftsbetrieb mit Wurzeln in der Philosophischen Fakultät inklusive eines Einschlags aus den Lebenswissenschaften. Das Zentrum wird seit 2005 für jeweils 4 Jahre ergänzt durch den „Universitären Forschungsschwerpunkt Ethik“ (USFP), der insbesondere durch ein Graduiertenprogramm eine interdisziplinäre Verankerung ethik-bezogener Forschung erreicht hat. In der ersten Tranche (2007-2010) wurden Projekte aus der Medizinischen, der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen, der Rechtswissenschaftlichen, der Wirtschaftswissenschaftlichen sowie der Philosophischen Fakultät der UZH gefördert, die aktuelle Förderphase (2010-2013) legt den Akzent auf das Thema „Gerechtigkeit“ und erweitert auf diese Weise ebenfalls die Reichweite der Forschungsarbeiten.

In den vier Arbeitsschwerpunkten dieses Förderbereichs spiegelt sich die aktuelle Konjunktur ethik-bezogener Forschungen wieder. Die Themen Globale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit und biomedizinische Ethik, Gerechtigkeit und Unternehmensethik und Umweltgerechtigkeit lassen sich dabei gut an politikwissenschaftliche Forschungskontexte anknüpfen: Global Governance als Herausforderung für (funktionierende, demokratisch legitimierte) Politik im Weltmaßstab, ethische Beratungsorgane wie der Ethikrat als neue politische Akteure, Finanzmarktpolitik und Klimapolitik als Politikfelder im Zeichen einer zusätzlichen Einflussgröße jenseits szientistischer Verrechnungsmodelle. Unmittelbar deutlich wird hier die Forschungsorientierung des Zürcher Zentrums im Vergleich zur US-amerikanischen Spielart des stark praxisorientierten Markkula Center – während dort der intensive Austausch mit den lokalen und regionalen Akteuren aus Politik und Verwaltung als wesentlicher Treiber für die Organisation der Einrichtung gilt, ist das Ethik-Zentrum der UZH mehrfach in den Wissenschaftsbetrieb vernetzt und wirkt als produktiver Innovationsort einer interdisziplinären Ethik-Forschung.

Hier deutet sich an, dass eine spezifisch politikwissenschaftliche Perspektive durchaus in der Lage sein kann, Impulse und Ergänzungen zu liefern. Für Reichweite und Wirkungstiefe einer ethik-orientierten Forschung in den unterschiedlichen Feldern spielt die Verzahnung mit politischen Debatten sowie den zentralen Akteuren politischer Systeme eine wichtige Rolle – genau dabei ist die spezielle Expertise politikwissenschaftlicher Forschung gefordert: Wie transportieren und verarbeiten politische Akteure Ethik-Diskurse im parlamentarischen Raum oder in innerparteilichen Diskussionsräumen? Inwiefern verändern spezialisierte Ethische Beratungsorgane die Verfahren im Kernbereich politischer Systeme? Wie reagieren Abgeordnete auf Debatten und Impulse der Ethik-Gremien, werden dadurch Entscheidungskommunikation und Politikmanagement beeinflusst? Verbessert sich dadurch die Qualität und Nachhaltigkeit politischer Entscheidungen? Ermöglicht eine ethisch begründete Kritik bereits getroffener Entscheidungen bessere Möglichkeiten zur Evaluation und Reformulierung im policy cycle?

In Ansätzen werden hier auch Ansätze zur Schärfung von Profil und Arbeitsprogramm der Duisburger Stiftungsprofessur erkennbar. Als nächster Schritt steht hier nun die Edition des Sonderheftes 2013 der Zeitschrift für Politikwissenschaft auf der Agenda, um für weitere Impulse zur Vernetzung sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze zu sorgen.

Stay tuned.

Wie funktioniert ein „Ethics Center“?

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Heute hatte ich die Gelegenheit zu einem Besuch im Markkula Center for Applied Ethics an der Santa Clara University. Seit meinem Wechsel an die Universität Duisburg-Essen habe ich mich (vor allem aus der Perspektive des anwendungsorientiert arbeitenden Politikwissenschaftlers) mit verschiedenen Aspekten der Ethik-Ausbildung an deutschen Hochschulen auseinandergesetzt und den Vergleich mit der US-amerikanischen Praxis halte ich für durchaus ertragreich.

Auch wenn es zunächst etwas unscheinbar klingen mag (wer kennt schon Santa Clara?), das Center ist eines der größten in den USA und weist im Vergleich zu den meisten anderen Ethik-Einrichtungen nicht nur allgemeine Angebote und Services für die jeweilige Hochschule auf, sondern ist auch als Dienstleister und Think Tank in die regionale Umgebung eingebunden. Schließlich weist das Center darüber hinaus eine inhaltlich ausdifferenzierte Struktur entlang mehrerer Themenfelder auf (z.B. Bioethik, Umweltethik, Wirtschafts-/Unternehmensethik) und postitioniert sich als öffentliche Bildungseinrichtung.

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Demokratie, versprochen!

Dienstag, 25. September 2012

Eingezwängt zwischen Juristen- und Soziologentag findet in dieser Woche in Tübingen auch der Politologentag statt, der eigentlich auf den klangvollen Namen „25. Wissenschaftlicher Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen“ hört. So steht es zumindest in der Kongresszeitung, die von der Tagungsleitung auf den Stühlen in der Neuen Aula plaziert worden war. Dieses doch eher analoge PR-Tool erscheint voraussichtlich „am 24.9., 26.9, 27.9. (Print) und 29.9. (nur online)“. Immerhin finden sich auf der Rückseite des vierseitigen Faltblattes neben den Statements ranghoher Fachvertreter ein QR-Code und der Hinweis auf den Twitter-Account zur Tagung (@dvpw_2012).

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Twitter als Diskurssystem

Freitag, 14. September 2012

Am 12. und 13. September habe ich am Workshop Partizipation und Vernetzung in mediatisierten Welten des Forschungsfelds Netzwerke im DFG-Schwerpunktprogramm Mediatisierte Welten teilgenommen. Als Respondent sollte ich dabei das Projekt Aspekte digitaler Partizipation am Beispiel von Twitter von Caja Thimm, Mark Dang-Anh und Jessica Einspänner von der Universität Bonn kommentieren. Das war eine spannende Angelegenheit, daher dokumentiere ich hier einige meiner Anmerkungen zur weiteren Kenntnisnahme und Diskussion.

Das Forschungsfeld besteht aus drei weiteren Teilprojekten, in der gemeinsamen Debatte sollten Perspektiven auf den Begriff der Partizipation entwickelt werden. Außer mir kommentierte Sigrid Baringhorst (Politikwissenschaft, Siegen), Heidi Schelhowe (Informatik, Uni Bremen) und Heidi Hanekop (Soziologie, Göttingen) – die Zusammensetzung war also interdisziplinär angelegt, und das war auch gut so.

Schnelles und langsames Twittern

In der Diskussion wurde deutlich, dass bei der sozial- bzw. politikwissenschaftlichen Betrachtung von Twitter zwei ganz unterschiedliche Perspektiven gewählt werden können: einerseits (und das ist die dominierende Variante) lässt sich die Kommunikation bei Twitter hinsichtlich der Echtzeit-Dimension erfassen – das geschieht in den vielen Studien, die sich der Entstehung spontaner Öffentlichkeiten widmen und mit teilweise imposanten Visualisierungen und Animationen das Aufkommen von Hashtags abbilden und so die Genese von Kommunikationsnetzwerken und –verläufen aufzeigen (vgl. Bruns/Burgess 2011). Die andere Variante unternimmt dagegen den Versuch, den Zeitfaktor aus dem Material herauszunehmen und konzentriert sich auf eine funktionale Analyse und markiert die Besonderheiten des technikbasierten Kommunikationssystems Twitter. Das Bonner Forschungsprojekt beachtet hierzu vor allem die Rolle der nicht-sprachlichen Operatoren RT, http://, @ und #.

Tweets können mit den vier Kommunikationsoperatoren (RT, http://, @, #) multireferenziell gestaltet werden. Twitter bildet durch die Bezugnahmehandlungen, die mit diesen Operatoren vollzogen werden, ein komplexes Diskurssystem mit vielfältigen crossmedialen Verweisformen. Es fungiert als Schnittstelle und ist insofern ein offenes System. (Thimm, Einspänner, Dang-Anh 2012)

Die Konzentration auf diese nicht-sprachlichen Elemente der Twitter-Kommunikation ist zwar naheliegend (und wird häufig angewendet), bislang war mir jedoch nicht aufgefallen, dass man dadurch der Sofort-Kommunikation gewissermaßen die Zeit-Dimension entzieht (oder zumindest Teile davon). Auf die weiter führenden Resultate des in Bonn untersuchten Tweet-Korpus möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen (wer möchte, findet hier Hinweise auf erste Ergebnisse und den entsprechenden Forschungsartikel).

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In eigener Sache: USA (Buch)

Freitag, 31. August 2012

Gerade ist der Nominierungsparteitag der Republikaner vorbei, in der kommenden Woche sind die Demokraten an der Reihe (obwohl: der Platz ist doch schon besetzt, erzählt man sich auf Twitter).

Ein guter Zeitpunkt, um etwas Werbung für ein kleines Projekt zum Thema zu machen: gemeinsam mit dem geschätzten Kollegen Klaus Kamps gebe ich im kommenden Jahr bei Springer VS einen Band zur US-Wahl heraus. Er trägt den reißerischen Titel

Die US-Präsidentschaftswahl 2012
Analysen der Politik- und Kommunikationswissenschaft

Im zugehörigen Call for Papers heißt es:

Angestrebt wird – erstmals für den deutschen Sprachraum –, ein die verschiedenen Facetten einer solchen Präsidentschaftswahl näher beleuchtendes Kompendium zu erstellen. Zwar skizzieren gelegentliche Monographien das Wahlsystem, die Parteienkonstellation oder etwa sozio-strukturelle Entwicklungen innerhalb der US-Wählerschaft. Doch ein konzises, die Wahl als kommunikativen Prozess im Kontext spezifischer politischer Systemstrukturen und (aktueller) gesellschaftlicher Rahmenbedingungen erfassendes Konzept liegt für den deutschen Markt nicht vor.

Diese Lücke gilt es also zu schließen und wir freuen uns über tatkräftige Mithilfe. Die erste Deadline lässt nicht mehr allzu lange auf sich warten, Extended Abstracts (max. 1500 Wörter) erwarten wir bis zum 15. Oktober 2012.

Den vollständigen Call (inkl. Themenvorschlägen und Terminen) habe ich mal hier abgelegt, außerdem gibt´s den Aufruf auch in englischer Sprache.

In eigener Sache: Utrecht

Montag, 25. Juni 2012

Man kann über die Unterschiede von Lego Mindstorms (open-minded, open source, die Lösung für viele gesellschaftliche Probleme) und Lego Bionicles (kommerzielles, kreativitätseindämmendes Anti-Lego) trefflich streiten – dass dies allerdings bei der Verteidigung einer Dissertationsschrift geschieht, ist dann doch eher ungewöhnlich. Wenn allerdings der „Promovendus“ Douglas Rushkoff heißt und eine Arbeit mit dem Titel „Monopoly Moneys. The Media Environment of Corporatism and the Player´s Way Out“ vorlegt, ist eine kurze Darlegung über die unterschiedlichen Ansätze nicht nur unterhaltsam, sondern sie erscheint auch absolut zwingend. (Inzwischen hat der „Promovendus“ einen kurzen Blogeintrag zur Verteidigung verfasst).

So geschehen am 25. Juni in der Universität Utrecht, im spektakulären Academiegebouw – ich hatte die Ehre, auf Einladung des Kollegen Mirko Schäfer als externer Gutachter und Kommentator an der Verteidigung teilzunehmen. Das war durchaus eine besondere Erfahrung, denn das Ritual der Promotion unterscheidet sich massiv von den Verfahren im deutschen Teil des Elfenbeinturms (beinahe so deutlich wie Mindstorm- und Bionicle-Lego). Es beginnt mit dem Setting im Repräsentativbau der Universität, auf LED-Anzeigetafeln werden die Verteidigungen des Tages angezeigt, die festlich gekleideten Menschenmengen erinnern eher an Hochzeitsgesellschaften – und das Prüfungsgremium („Conferral of the Board“) trägt Talar. Einheimische Professoren haben eine eigene Robe, die Gäste bekommen vom „Pedel“ (dem Pendant zum Gerichtsdiener) ein passendes Stück aus der universitären Kleiderkammer ausgehändigt. Im Besprechungszimmer (einer Art profan-wissenschaftlicher Sakristei) werden die Talare übergezogen, hinzu kommen eine Fliege inkl. Rüschenbund und ein passender Hut (Exemplare in sämtlichen Kopfgrößen liegen bereit).

Dann wird der Ablauf der „Defense“ besprochen – fünf Professoren befragen den Doktoratskandidaten, maximal je 9 Minuten Zeit gibt es für einen Minidiskurs entlang der „Proefschrift“. Es beginnt der- oder diejenige mit der weitesten Anreise: im hiesigen Fall Prof. Meira von der Universität Tampere (aufgrund dieses Reglements hatte ich den zweiten Frageplatz erhalten, was nicht unwichtig ist: die Dauer der Verteidigung ist auf exakt 45 Minuten angelegt). Die Gutachter des Kandidaten können dabei nur zuschauen, geleitet wird die Aussprache vom „Rector“ als Vorsitzenden des Verfahrens. Die Fragestunde findet im Senatssaal des Akademiegebäudes statt, die Prüfer halten – ähnlich den Richtern im Bundesverfassungsgericht – Einzug, während der Kandidat an einem ihm zugewiesenen Katheder wartet. Unterstützung erhält er dabei von den „Paranymphs“, zwei Assistenten, die in etwa die Rolle von Trauzeugen übernehmen: sie organisieren die Veranstaltungen rund um das Hauptereignis, etwa den Empfang im Anschluss oder das gemeinsame Abendessen mit dem Prüfungsgremium.

Nach Ablauf der festgelegten Prüfungszeit öffnet sich die Tür und herein tritt der „Beadle“, eine Art Zeremonienmeister (in diesem Fall eine Zeremonienmeisterin), und erklärt ohne Umschweife mit den Worten „Hora Est!“ das Verfahren für beendet. Nach dem Auszug der Prüfer (in Roben und mit Hut auf dem Kopf – während der Verteidigung und im Sitzen wird die Kopfbedeckung abgenommen) folgt die Aussprache in der Universitäts-Sakristei. Kommt das Gremium zu dem Schluss, dass der Kandidat ein würdiger Doktor ist, wird eine riesige Urkunde ausgefertigt (das Format liegt irgendwo zwischen DIN A2 und DIN A1), zusammengerollt und in einem zylindrischen Behältnis deponiert. Danach geht es zurück in den Senatssaal, wo der Kandidat noch immer wartet – genauso wie das Publikum: die Veranstaltung findet nämlich öffentlich statt und erinnert so eher an eine standesamtliche Hochzeit als ein akademisch-höfisches Ritual. Nach den kurzen formalen Worten des „Rector“, erklärt einer der Gutachter den „Promovendus“ formell zum Doktor, der (oder die) andere hält danach eine Laudatio. Im Falle Douglas Rushkoff handelte es sich um eine sehr persönliche Würdigung von Doktor und Werk, dabei wurde der allmähliche Wandel vom „journalistic author“ zum „scientist“ beschrieben. Schließlich erhält der Neu-Doktor das entscheidende Dokument aus den Händen seiner Betreuer. Beifall, Schluss und Abgang.

Man könnte sich nun über die seltsame Unzeitgemäßheit des Rituals belustigen (wer macht denn noch so ´was in Zeiten von Bologna, ECTS und Exzellenzwettrennen!) – wenn die Unterschiede zum überaus langweilig bürokratisierten deutschen Verfahren nicht so offenkundig wären. Denn das holländische Ritual ist trotz seiner samtigen Oberflächenhaftigkeit auch sehr funktional: so haben etwa die Betreuer der Dissertation während der Aussprache nichts zu melden, sie haben auch keine Kontrolle über die Fragen der internen und externen Vertreter. Das Prüfungsgremium wird zwar vorab per Mail über die wesentlichen Abläufe informiert, bleibt aber frei in seiner inhaltlichen Einschätzung der Arbeit. Sicher, die wenigsten werden in einem solchen Umfeld zur akademischen Blutgrätsche ansetzen, dennoch ist eine unabhängige Betrachtung und Diskussion der Leistungen gewährleistet. Erst im Nachgespräch kommen die Betreuer zu Wort, sie müssen dann die Gründe benennen, warum der „Promovendus“ denn zum Doktor gemacht werden soll. Im Falle Rushkoffs waren dies neben seinem außerordentlichen Gespür für Themen auch die gesellschaftliche bzw. politische Relevanz seiner Fragen, sowie die Fähigkeit, eine genuin wissenschaftliche Leistung über mehrere Jahre hinweg neben dem eigentlichen Broterwerb als Autor, Redner, Kolumninst, Dokumentarfilmer und „Graphic Novelist“ zu erbringen. (Eine inhaltliche Würdigung der Arbeit erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt an dieser – oder anderer – Stelle.)

Erkennbar wird so eine deutliche Arbeitsteilung im akademischen Auswahlprozess, die deutlich über das Procedere im deutschen Verfahren hinausgeht. In den stickigen Besprechungs- und Seminarräumen, die üblicherweise das Umfeld einer deutschen Doktorenkur abgeben, reden Doktorvater oder –mutter auf den Prüfling ein, der zuvor i.d.R. eine Inhaltsangabe seines Werkes gibt und einige Thesen seiner Arbeit darlegt. Eine „wissenschaftliche Widerrede“ findet kaum statt, zugleich ist es ein Verfahren nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit, meist auch der akademischen. Das Utrechter Modell setzt andere Akzente und verlagert einen großen Teil der Eignungsprüfung auf den mündlichen Disput zwischen „Opponent“ (so werden die Mitglieder der Prüfungsrunde angesprochen) und „Promovendus“. Auch wenn es sich bei dieser Debatte um eine (zumindest teilweise) choregrafierte Redesituation handelt, so wird den Kandidaten anderes abgefordert als in Deutschland: die anwesende Öffentlichkeit hat ein Recht auf eine verständliche Sprache, weshalb auch die Prüfer auf zu kleinteilige Fachdebatten verzichten. Stattdessen werden Anreize gesetzt, die den Kandidaten zum Improvisieren anregen sollen oder das konkrete innerfachliche Problem wird schon in der Frage dargelegt. Im besten Fall nimmt der „Promovendus“ dadurch Anregungen für eine erneute Auseinandersetzung mit seinem Stoff mit, die er produktiv in die weitere Arbeit einbringen kann.

Neue Forschungsfragen gab es dadurch zu Hauf: Gibt es neben dem von Rushkoff entfalteten Konzept der „Playability“ auch so etwas wie „Hackability“? Wie unterscheiden sich „eigensinniges“, „kooperatives“ und „nicht-kooperatives“ Handeln voneinander? Warum verzichtet eine Arbeit über „Monopolgeld“ bzw. „Geld-Monopole“ auf die Arbeiten von Karl Marx und Yochai Benkler? Ist Mark Zuckerberg ein Neo-Korporatist? Ist #occupy eine spielerische politische Bewegung? Kann Code eine politische Machtressource sein? Und was ist aus dem Technik-Determinismus von Marshall McLuhan geworden?

Beantwortet wurden die Fragen natürlich nicht – den Erfolg des Bionicle-Lego über die Mindstorm-Variante allerdings erklärte Douglas Rushkoff entlang der Hauptthese seiner Arbeit. Bislang habe sich noch immer die lineare Erzählweise einer kleinen gesellschaftlichen Elite durchgesetzt: „Jener Elite, die die Druckerpressen besaß, Unternehmen gründete, Fabriken unterhielt, Schulen gestaltete, Geld entwickelte und die Medien programmiert hat.“ Doch genau das könnte sich nun ändern: „Das menschliche Narrativ wird nicht länger erzählt, es wird geschrieben; das Leben wird nicht mehr gelebt, es kann programmiert werden. (…) Interaktive Medien versetzen nicht nur mehr Menschen in die Lage, an der Herstellung dieses Narrativs teilzuhaben, sondern eröffnen Chancen für neue Formen und neue Welten. Genau das kann passieren, wenn wir die scheinbar unbewegliche Landkarte von Marktdominanz und Unternehmensherrschaft als das Spielfeld erkennen, das es tatsächlich ist.“ (317f)

Literatur:

Rushkoff, Douglas (2012): Monopoly Moneys. The Media Environment of Corporatism and the Player´s Way Out. Proefschrift, Universiteit Utrecht.

Was sollen wir tun?

Sonntag, 6. November 2011

Der nachfolgende Text war die Grundlage meiner Antrittsvorlesung zur Johann Wilhelm WelkerStiftungsprofessur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft am 26.10.2011 an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen.

In formaler Hinsicht ist dies vermutlich der bisher am wenigsten „passende“ Beitrag in diesem Blog – allerdings schließt sich damit auch ein Kreis. Vor fast genau fünf Jahren wurde „Internet und Politik“ eingerichtet als Begleitangebot zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/07 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seitdem haben viele sehr unterschiedliche Inhalte den Weg hierher gefunden – hier ist ein weiterer.

Was sollen wir tun?
Ethik als Instrument modernen Politikmanagements

Seit der globalen Finanzkrise – genauer gesagt: seit deren Debüt auf der ganz großen politischen Bühne im Jahr 2008 – ist der Begriff der Ethik erstaunlich populär geworden.

Zunächst dominierte das Entsetzen über das Ausmaß des Banken-Crashs, dann wurden neben Forderungen nach neuen Kontrollorganen und Sicherheitsregelungen schnell die Rufe nach einer neuen Wirtschaftsethik laut. Man ahnte wohl schon damals, dass allein durch politische Debatten, Stützkäufe maroder Papiere und ganzer Banken sich das globale Finanzsystem nicht substanziell ändern würde.

Der Verweis auf die ethische Dimension wirkt angesichts der grotesken Größenordnung der finanziellen Schäden seltsam machtlos – kann die Rückkehr zu Werten, ein tugendgeleitetes Innehalten und Abwägen, die Besinnung auf ein Berufsethos, das ein gutes, maßvolles Leben im Auge behält, in den Zeiten entfesselter Finanzmärkte tatsächlich etwas bewegen?

Man spricht seitdem von einem regelrechten Ethik-Boom: Business Schools haben Vortragsreihen und Studienprogramme eingerichtet, an vielen Orten sind neue Lehrstühle im Bereich „Ethik und Wirtschaft“ entstanden – so etwa in Köln, Mannheim oder München. Naturgemäß hat sich dadurch im Umfeld der akademischen Ausbildung der Wirtschafts- und Finanz„eliten“ noch nicht viel ändern können – nennenswerte Effekte dürften noch einige Jahre auf sich warten lassen. Trotzdem – vielleicht auch deshalb – besteht die Chance für eine gewisse Nachhaltigkeit, die inzwischen auch den Bereich der Politikwissenschaft erreicht hat.

Dazu haben auch verschiedene Krisenphänomene einen Beitrag geleistet, etwa die fast regelmäßig auftretenden Veruntreuungs- und Begünstigungsaffären (zum Beispiel in Großbritannien), Ämterpatronage und Dynastiebildung (in Argentinien oder Brasilien), oder der systematische Zugriff von corporate money auf politische Entscheidungsträger (etwa in den USA).

Angesichts dieses traurigen Standardkatalogs unethischen Verhaltens in der Politik muten die deutschen Beiträge zur jüngeren Debatte geradezu exotisch an: hierzulande ging es zuletzt um Wahrheit (zu Guttenberg und andere) oder Liebe (von Boetticher).

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Wieder mal WikiLeaks

Samstag, 5. November 2011

Am Mittwoch nehme ich am ganz sicher spannenden Workshop Leaking: Sicherheitsbedrohung oder subversive Demokratisierung? an der Goethe-Universität in Frankfurt teil. Genauer gesagt, am Abschlusspanel mit dem Titel „In doubt we publish: WikiLeaks as a threat to diplomacy and democracy?“ (Oh, das ist ja Englisch. Vielleicht sollte ich sicherheitshalber noch ein paar Vokabeln lernen).

Angesiedelt ist der Workshop am Exzellenzcluster Normative Orders und dem Forschungsprojekt Sicherheitskultur im Wandel. Daraus resultiert ein fachwissenschaftlicher Schwerpunkt im Schnittfeld von politischer Theorie und Internationalen Beziehungen, die für den Nachmittag angekündigten Beiträge sortieren sich zwischen diesen beiden Feldern. Mein Beitrag zum Podium wird sich dem Thema eher aus der Perspektive der politischen Kommunikations- und Öffentlichkeitsforschung nähern.

Generell stellt sich dabei mE die Frage, inwiefern WikiLeaks als Akteur tatsächlich in die eher klassischen politikwissenschaftlichen Sichtweisen eingeordnet werden kann. Über die formale Gestalt des Akteurs ist sehr wenig bekannt, die Organisation wird überlagert durch die mediale Fixierung auf Julian Assange, dessen eigene Personalisierungsstrategie inzwischen jedoch mehr zu sein scheint als eine „fürsorgliche“ Schutzfunktion für die im Schatten arbeitenden Mitstreiter.

Besonders interessant ist die daraus resultierende Spannung zwischen dem „Transparenz-Akteur“ WikiLeaks und dessen eigener Undurchsichtigkeit. Ins Spiel kommen hier auch die für viele Nicht-Regierungsorganisationen typischen Legitimitätsdefizite: WikiLeaks versteht sich zwar als relevanter Akteur innerhalb internationaler, globaler Politikprozesse (hierzu lese man nur das Gespräch zwischen Julian Assange und Hans-Ulrich Obrist), entzieht sich durch seinen „informellen Charakter“ aber einer konkreten politischen Verantwortung und lässt eine „Accountability“ vermissen, die umgekehrt aber von den Regierungen gefordert wird. Innerhalb dieses asymmetrischen Verhältnisses manövriert Assange die Organisation WikiLeaks systematisch in einen geschützten Raum, gewissermaßen in „das Auge des Sturms“.

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Wikileaks und Pracademics

Freitag, 24. Juni 2011

Am kommenden Montag (27.6.) bin ich als Gast im Doktorandenseminar Wissenschaft und Internet an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eingeladen. Organisiert wird die Veranstaltung durch eine Nachwuchsforschungsgruppe, die sich intensiv mit den Veränderungen des wissenschaftlichen Arbeitsprozesses durch digitale, interaktive Medien auseinandersetzt.

Mein Sitzungstitel „E-Democracy“ deutet zunächst einmal auf eine inhaltliche Stellungnahme zur Lage der (digitalen) Politikwissenschaft hin, ich möchte die Gelegenheit jedoch für einen kleinen Selbstversuch nutzen und anhand eines aktuellen Beispiels die Veränderungen in meiner eigenen Forschungstätigkeit zu beschreiben. Dazu stelle ich einige thematische Ansätze meiner Auseinandersetzung mit WikiLeaks vor – seit dem ersten Nachdenken über das Projekt und dessen gesellschaftspolitische Dimension sind einige Impulse und Interpretationsansätze zusammengekommen. Im Mittelpunkt des Vortrags stehen jedoch nicht die (immer noch vorläufigen) „Erträge der Forschung“, sondern vielmehr die Art ihres Zustandekommens – der Prozess wissenschaftlichen Arbeitens selbst. Bei einem kleinen Rückblick zeigt sich, dass am Beginn ein kleiner Blogeintrag stand, auf den diverse Online- und Offline-Texte, mehrere öffentliche Vorträge und Diskussionen sowie ein Seminar gefolgt sind. Für den Spätsommer bilden (vorerst) zwei wissenschaftliche Aufsätze den Abschluss dieses Arbeitsprozesses an der Schwelle von Wissenschaft und Praxis.

Mit dieser Verortung bin ich beim dritten Teil meines Vortrags, der sich mit Pracademics befassen wird – unter diesem Begriff diskutieren die US-amerikanischen Kollegen die Kombination klassischer wissenschaftlicher Arbeitstechniken mit den Möglichkeiten der Kommunikation, Kollaboration und Publikation unter den Bedingungen neuer Medien. Ich meine, das passt recht gut in den Zusammenhang des Doktorandenseminars.

In eigener Sache: Duisburg, Essen

Dienstag, 11. Januar 2011

In den nächsten Wochen stehen gleich zwei Vorträge zum Thema Wikileaks auf dem Programm. Am 3. Februar halte ich in Duisburg eine Dinner Speech im Rahmen der Tagung Informelles Regieren. Entstehung und Wandel, Leistungen und Legitimität informeller Institutionen und Entscheidungsprozesse. Organisator ist die Sektion „Regierungssystem und Regieren in der BRD“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW).

Ich hoffe, zwischen Vor-, Haupt- und Nachspeise bleibt genügend Zeit für ein paar Thesen zu meinem Arbeitsauftrag Wikileaks und die Folgen. Das Ende aller Informalität? Mit Blick auf den Tagungstitel sollte man wohl nicht nur über den neuen Zwang zur informellen Kommunikation reden, sondern auch den Institutionencharakter von Wikileaks berücksichtigen und die Beschaffenheit der Entscheidungsprozesse im Umfeld der „Affäre Assange“ betrachten. Hm. Ich sollte wohl über einen dreigeteilten Vortrag nachdenken – allerdings sind die vorgesehenen 15-20 Minuten dafür eher knapp bemessen. Na, mal sehen, was die Menüfolge hergibt. (Nebenbei: sehr gute inhaltliche Hinweise hat gerade Krystian Woznicki in der Berliner Gazette gegeben: Geheimniskulturen ist ein wirklich gutes Stichwort).

Am 14. Februar geht es dann (aus Offenburg kommend) eine ICE-Station weiter nach Essen. Dort veranstaltet das Kulturwissenschaftliche Institut (KWI) gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Institut Paris die internationale Konferenz Öffentlichkeit, Medien und Politik – Intellektuelle Debatten und Wissenschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation. Auch hier bin ich für den Abendvortrag vorgesehen (diesmal allerdings ohne Dinner).

Mein Thema sind die Metamorphosen des politischen Intellektuellen. Was das mit Wikileaks zu tun hat? Vermutlich eine ganze Menge, in der Tagungsankündigung heißt es:

Auf der semantischen Ebene verbinden sich mit dem Begriff des Intellektuellen seit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert vor allem drei Merkmale: erstens das Wirken im öffentlichen Raum; zweitens die gezielte Nutzung von Massenmedien; und drittens schließlich die bewusste Applikation von Wissen auf Praxis.

Mit Blick auf die umstrittene Frontfigur Julian Assange kann man hier schon mal relativ problemlos drei Häkchen setzen. Und es geht noch weiter:

Jenseits eines bloßen „Fachmenschentums“ im Sinne Max Webers – erweisen sich die modernen Intellektuellen damit als Virtuosen der öffentlichen Meinungsbildung, die auf der Grundlage einer ausgeprägten Sensibilität für aktuelle Problemlagen in die gesellschaftlichen Debatten ihrer Zeit intervenieren, woraus sich auch ihre häufig polarisierende Wirkung erklärt.

Na, das reicht doch schon mal locker für drei bis vier Powerpoint-Folien. Etwas kniffliger dürfte die kohärente, systematische Entwicklung des Intellektuellenbegriffs unter den Bedinungen digitaler, interaktiver Medien sein. Eine grobe Idee dazu gibt es durchaus und ich hoffe, dass die Lektüre des Essays Program oder Be Programmed von Douglas Rushkoff an dieser Stelle weiter hilft. Diese Stelle auf S. 139/140 deutet schon mal an, worauf ich hinaus will.

Finally, we have the tools to program. Yet we are content to seize only the capability of the last great media renaissance, that of writing. We feel proud to build a web page or finish our profile on a social networking site, as if this means we are now full-fledged participants in the cyber era. We remain unaware of the biases of the programs in which we are participating, as well as the ways they circumscribe our newfound authorship within their predetermined agendas.

Und, ja, ich fürchte, am Ende muss man ein paar Worte über den Hacker als Intellektuellen verlieren. Aber dazu hat schon vor Jahren Andrew Ross in seinem klassischen Text Hacking Away at the Counterculture wesentliches gesagt. Moment, gab´s den Aufsatz nicht sogar in deutscher Sprache? Ich bin dann mal unterwegs ins Archiv.