Zur Dialektik von Wahlen: Hamburg vs. Estland

Die vergangene Woche eignet sich gut für eine kurze Betrachtung aktueller Entwicklungen bei der Durchführung politischer Wahlen.

1. Deutschland: Wahlen nach Hausmacher Art

Bis zur Wochenmitte dominierten die seltsamen Ereignisse rund um die Mitgliederbefragung der Hamburger SPD zur Ermittlung eines Spitzenkandidaten für den nächsten Bürgerschaftswahlkampf. Bei der so genannten „Wahlurnen-Affäre“ waren gut 1000 Wählerstimmen verschwunden: „Wer sie auf welchem Wege entwendet hat, ist noch unklar, die Polizei nahm Ermittlungen wegen Diebstahl und Unterschlagung auf“ (Spiegel Online, 28.2.2007).

2. Estland: Wahlen im Labor


[Blogger, nicht bei der Wahlbeobachtung, aber in Estland.]

Zum Ende der Woche rückte dann eine andere Wahl in den Vordergrund und im Gegensatz zur Hamburger Hausmannskost wäre das wohl die moderne Molekulargastronomie: die Parlamentswahlen in Estland waren die weltweit ersten, die eine Stimmabgabe per Internet erlaubten. Mittels Chipkarte und Lesegerät war die Anmeldung zur Wahl möglich, PIN-Nummern sorgten für den Zugang zum elektronischen Stimmzettel und die verschlüsselte Weitergabe des Votums (vgl. Powerpoint-Präsentation E-Voting in Estonia). Damit verfolgen die Esten eine technologisch anspruchsvolle Variante der „Online-Wahl“, die nicht mit dem etwa in den Niederlanden oder den USA verbreiteten Einsatz elektronischer Stimmgeräte in Wahllokalen zu vergleichen ist. In Kenntnis dieser wahltechnologischen Innovation wird die Wahl online sehr ausführlich dargestellt, wieauf den Seiten der Vabariigi Valimiskomisjon, der Nationalen Wahlbehörde. Das Verfahren muss sich unter den kritischen Augen der internationalen Öffentlichkeit behaupten, bislang sind jedoch noch keine größeren Unregelmäßigkeiten bekannt geworden.

3. Alt vs. neu – wie war das mit der Sicherheit?

Die öffentliche Diskussion um die Einführung neuer Technologien bei politischen Wahlen kreist in der Regel um die Sicherheit und Manipulationsanfälligkeit von digitaler Stimmabgabe oder elektronischen Wahlmaschinen. Zu gerne wird dabei vergessen, dass die „traditionellen“ Verfahren der Stimmabgabe auch fehler- und fälschungsanfällig sind. Die Abstimmung mittels Wahlurne oder Wahlbrief ist nicht automatisch sicherer als der Einsatz neuer Medien, wie das Beispiel der Hamburger SPD zeigt. Bei der Modernisierung eines zentralen Verfahrens demokratischer politischer Systeme gibt es noch viel zu tun – das Verlassen alter Denkpfade ist ein erster Schritt: Nicht immer sind es junge Wahlsysteme oder technologische Innovatoren, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen.

Vielleicht hätten ein paar Wahlbeobachter auf dem Weg ins Baltikum eine Zwischenstation in der Hansestadt einlegen sollen.

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