In eigener Sache: Erfurt

Am Sonntag ist mal wieder Wahl im Web: im Saarland, Sachsen und Thüringen (Twitter: #sst) finden Wahlen statt. Vier Wochen vor der Bundestagswahl natürlich eine letzte Standortbestimmung, aber vor allem – Landtagswahlen. Das inzwischen bewährte Format feat. Moderator Markus Kavka erfährt also eine Neuauflage, diesmal wird aus Erfurt gesendet. Als Location dient der Centrum Club – im thüringischen Landtag, dort wird die Hauptsendung des ZDF produziert, gab es keine geeigneten Räumlichkeiten. Okay, es ist ja auch einiges unterzubringen, schließlich twittern @Herr_Marx, @malte_politicus und @fabianpingel um die Wette, vier Webscouts beobachten die Online-Ereignisse nach 18 Uhr, @markuskavka braucht Auslauf und ich suche mir einen bequemen Lounge-Chair Clubsessel.

Worüber aber wird berichtet?

Die Wahlgebiete haben sich bisher nicht als Klassenbeste in Sachen Internet hervorgetan, der aktuelle (N)onliner-Atlas führt die drei Länder auf den Plätzen 1 (Saarland), 2 (Thüringen) und 5 (Sachsen) im Offliner-Ranking. Nach der Methodik der Studie sind „Offliner“ jene Menschen, die das Internet zum Zeitpunkt der Befragung nicht nutzen und auch in den nächsten 12 Monaten keine Online-Nutzung planen. Im Saarland gehören 34,4 % der Befragten in diese Kategorie, in Thüringen sind es 33,6 %, in Sachsen 30,3 %. Am anderen Ende der Skala rangiert Berlin – in der Hauptstadt verweigern sich nur noch 23,6 % langfristig dem neuen Medium. Möglicherweise herrschen also nicht die besten Bedingungen für das Führen interaktiver Online-Wahlkämpfe auf den beteiligungsorientierten Plattformen des Web 2.0.

Und es gibt noch weitere Überlegungen, die in diese Richtung weisen: in „#sst“ erzielt die Linkspartei zumindest in den Umfragen recht solide Werte – im Saarland 16 %, in Sachsen 20 % und in Thüringen zuletzt 23% (vgl. die SpOn-Wahlzentrale). Folgt man der Analyse der Kollegen Schoen und Falter zur Bundestagswahl 2005, dann darf man davon ausgehen, dass die Linkspartei nicht in erster Linie auf Internet-affine Wähler abzielt:

Über mehrere Wahlen hinweg war die PDS von Menschen mit hoher formaler Bildung, Beamten, Angestellten und Arbeitslosen bevorzugt gewählt worden, wobei es sich häufig um ehemals Privilegierte des DDR-Systems gehandelt hatte. Arbeiter und Personen mit niedriger formaler Bildung, die als gleichsam natürliche Wähler einer traditionellen Linkspartei erscheinen könnten, zeigten sich dagegen der PDS gegenüber relativ reserviert. Das änderte sich 2005. Nun stimmten Menschen mit formal niedriger Bildung, Arbeitslose und Arbeiter überdurchschnittlich häufig für die Linkspartei. Der Linkspartei.PDS ist es also 2005 gelungen, verstärkt in soziale Gruppen vorzudringen, die ihr vorher eher fern gestanden hatten. Gemessen an ihrer Attraktivität in verschiedenen sozialen Gruppen, hat sie sich – überspitzt formuliert – von einer Elitenpartei in Richtung einer Unterschichtpartei entwickelt.

Zu verbinden ist diese Darstellung mit den Resultaten der ARD/ZDF-Offlinestudie 2009 – neben dem Alter wird dort auf den Bildungsgrad als wesentlicher Grund für die Internet-Abstinenz verwiesen:

Nicht nur durch das höhere Alter, sondern auch durch die Nicht-Berufstätigkeit lassen sich die Offliner charakterisieren. Auch wenn der Anteil unter  den Nicht-Berufstätigen seit Jahren sinkt, so sind es 2009 immer noch knapp zwei Drittel in dieser  Gruppe, die kein Internet nutzen – vor fünf Jahren aren es noch über drei Viertel. Damit zeigt sich erneut der starke Zusammenhang zwischen Internetnutzung und Beruf.

Unmittelbar gekoppelt mit den Zahlen der Linkspartei sind aber die Werte für die SPD – bisher stets eine tragende Säule mit Blick auf den Online-Wahlkampf. Während sich im Saarland der „neue Mann“ Heiko Maas noch halbwegs stabil (26 %) als Haupt-Herausforderer von Ministerpräsident Peter Müller präsentiert und vor allem mit einigen formal auffälligen YouTube-Videos punktet, sind die Sozialdemokraten in Sachsen (20 %) und Thüringen (14 %) nur noch dritte Kraft. Weitaus stärker als die dürftigen Prognosen wirkt sich aber die dünne Personaldecke auf die Online-Performance aus – die einfache Formel lautet hier: weniger Parteimitglieder, weniger Online-Wahlkampf. Der thüringische Landesverband notiert im Juli 2009 nur 4.374 Mitglieder, in Sachsen sind es mit 4.230 potenziellen Bloggern, Twitterern oder Facebook-Freunden mit Parteibuch sogar noch etwas weniger. Geradezu opulent mutet dagegen das Reservoir im Saarland an, dort sind zum 31.7.2009 immerhin noch 21.593 Genossen registriert.

Doch auch die anderen Parteien machen nicht unbedingt durch forcierte Digitalisierung auf sich aufmerksam – und warum auch? Gleich mehrere Kontextbedingungen begünstigen einen klassischen Medienwahlkampf und auch der Obama-Effekt scheint allmählich nachzulassen. Nicht mehr jede Online-Aktivität deutscher Politiker – zumal auf Landesebene – wird in eine Reihe mit der spektakulär erfolgreichen Internet-Kampagne des US-Präsidenten gestellt. Ein Grund dafür ist sicher der größere zeitliche Abstand zur Obamania zu Jahresbeginn, ein anderer Grund trägt den Doppelnamen Schäfer-Gümbel. Gerade Landespolitiker müssen seit dem hessischen Landtagswahlkampf im Januar mit der gewagten, aber letztlich erfolgreichen Internet-Strategie von @tsghessen konkurrieren – das #sst-Spitzenpersonal aber unternimmt erst gar nicht den Versuch, die Online-Aktivitäten in ähnlicher Weise ins Zentrum der Kampagne zu stellen wie der an der Urne zwar unterlegene, in der eigenen Partei aber gefestigte Mittelhesse.

Angesichts solcher Rahmenbedingungen führt die Recherche fast automatisch in Richtung der Piratenpartei – doch ach: die netzaffine Bande führt einzig in Sachsen ihre Armada in die Schlacht (sorry, diese Seefahrts-Metaphern schreiben sich fast von alleine). In den beiden anderen Bundesländern führt dies zu einer Annäherung an die Grünen – während man sich in Thüringen zu einer durchaus formalen Kooperation durchringen konnte, sieht das im Saarland noch etwas anders aus. In Sachsen dagegen steht die Piratenpartei am 30. August sehr wohl auf dem Stimmzettel, allerdings nicht am 27. September. Die Begründung dafür lautet:

Der Landesverband Sachsen, erst am 08.08.2008 gegründet und deswegen noch in der Aufbauphase, sah sich, konfrontiert mit der am 30. August und damit fast zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfindenden Landtagswahl, außerstande, beide Ereignisse ihrer Wichtigkeit gemäß zu bearbeiten und entschloss sich deshalb auf eine Teilnahme an der Bundestagswahl zu verzichten.

Wie clever diese Entscheidung gewesen ist, wird sich zeigen – die Debatte um das „Zugangserschwerungsgesetz“ jedenfalls hat in Ursula von der Leyen (aka #Zensursula) ihre Personifizierung gefunden, gilt aber vor allem als bundespolitisches Thema.

All diese Faktoren deuten zwar darauf hin, dass die „Wahl im Web“ sich am Sonntag mit einem Online-Wahlkampf in der Offline-Zone auseinandersetzen muss. Ich würde sagen, es gibt schlechtere Ausgangspositionen für einen spannenden Wahlabend im Netz.

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Eine Antwort to “In eigener Sache: Erfurt”

  1. Der Unwahrscheinlichkeitsdrive der Piraten « Internet und Politik Says:

    […] Onliner, schlechte Internet-Durchdringung, wenige Nutzungsplaner. Ich erinnere mich noch gut an den Wahlabend im Superwahljahr 2009, als sich bei den Landtagswahlen in Sachsen, Tühringen und eben dem Saarland die Wahlkämpfer in […]

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