Wieder mal WikiLeaks

Am Mittwoch nehme ich am ganz sicher spannenden Workshop Leaking: Sicherheitsbedrohung oder subversive Demokratisierung? an der Goethe-Universität in Frankfurt teil. Genauer gesagt, am Abschlusspanel mit dem Titel „In doubt we publish: WikiLeaks as a threat to diplomacy and democracy?“ (Oh, das ist ja Englisch. Vielleicht sollte ich sicherheitshalber noch ein paar Vokabeln lernen).

Angesiedelt ist der Workshop am Exzellenzcluster Normative Orders und dem Forschungsprojekt Sicherheitskultur im Wandel. Daraus resultiert ein fachwissenschaftlicher Schwerpunkt im Schnittfeld von politischer Theorie und Internationalen Beziehungen, die für den Nachmittag angekündigten Beiträge sortieren sich zwischen diesen beiden Feldern. Mein Beitrag zum Podium wird sich dem Thema eher aus der Perspektive der politischen Kommunikations- und Öffentlichkeitsforschung nähern.

Generell stellt sich dabei mE die Frage, inwiefern WikiLeaks als Akteur tatsächlich in die eher klassischen politikwissenschaftlichen Sichtweisen eingeordnet werden kann. Über die formale Gestalt des Akteurs ist sehr wenig bekannt, die Organisation wird überlagert durch die mediale Fixierung auf Julian Assange, dessen eigene Personalisierungsstrategie inzwischen jedoch mehr zu sein scheint als eine „fürsorgliche“ Schutzfunktion für die im Schatten arbeitenden Mitstreiter.

Besonders interessant ist die daraus resultierende Spannung zwischen dem „Transparenz-Akteur“ WikiLeaks und dessen eigener Undurchsichtigkeit. Ins Spiel kommen hier auch die für viele Nicht-Regierungsorganisationen typischen Legitimitätsdefizite: WikiLeaks versteht sich zwar als relevanter Akteur innerhalb internationaler, globaler Politikprozesse (hierzu lese man nur das Gespräch zwischen Julian Assange und Hans-Ulrich Obrist), entzieht sich durch seinen „informellen Charakter“ aber einer konkreten politischen Verantwortung und lässt eine „Accountability“ vermissen, die umgekehrt aber von den Regierungen gefordert wird. Innerhalb dieses asymmetrischen Verhältnisses manövriert Assange die Organisation WikiLeaks systematisch in einen geschützten Raum, gewissermaßen in „das Auge des Sturms“.

Für eine politikwissenschaftliche Auseinandersetzung ergibt sich daraus ein systematisches Problem, da sich WikiLeaks durch diese Strategie einer Einordnung in herkömmliche Akteursmuster und -netzwerke verweigert. Zugleich verwendet Assange in seinem programmatischen Entwurf zu State and Terrorist Conspiracies jedoch den im politikwissenschaftlichen Diskurs gut bekannten Governance-Begriff und signalisiert damit zumindest seine Kenntnis der Diskussion. Es bleibt jedoch unklar, wo der „Transparenz-Akteur“ (im Text ein unpersönliches „Wir“) angesiedelt ist – verbleibt er vollständig außerhalb der Steuerungs-Netzwerke und hat also kein Interesse an einer Mitwirkung an Governance-Prozessen oder sucht er nach einer eigenen, aktiven Rolle?

Diese Ambivalenz wird bislang nicht schlüssig aufgelöst, wie sich auch im konkreten „Verhalten“ von WikiLeaks als Transparenz-Akteur zeigt: es versteht sich bisweilen als autonome, unabhängige Instanz einer „vernetzten Öffentlichkeit“, die fallweise mit eingeführten Medienakteuren kooperiert (und sich dabei häufig in der Position des „Underdogs“ wiederfindet). Gelegentlich scheint allerdings auch der Antrieb zu einer aktiven Einmischung in konkrete politische Prozesse zu bestehen, etwa bei der Mitwirkung an der Icelandic Modern Media Initiative oder die von Assange im Stile eines international agierenden Geopolitikers skizzierte Mitwirkung am so genannten „Arabischen Frühling“:

The approach we took, and continue to take, with the demonstrations in the Middle East, has been to look at them as a pan-Arab phenomenon with different neighboring countries supporting each other in different ways. The elites — in most cases the dictatorial elite — of these countries prop each other up, and this becomes more difficult if we can get them to focus on their own domestic issues. Information produced by the revolutionaries in Egypt on how to conduct a revolution is now spreading into Bahrain. So this is being pushed out. We have pan-Arab activists spreading, and there exists Western support for these opposition groups, or for the traditional dictatorial leadership.

Es scheint fraglich, ob sich diese Ambivalenz auflösen lässt – Ansatzpunkte für eine politikwissenschaftliche Diskussion finden sich hier jedoch reichlich. Die Frage ist, welcher innerfachliche Zugang besonders ertragreich sein kann.

Die politisch-philosophische Perspektive kann auf das Akteursverständnis fokussieren und nach den demokratischen bzw. demokratiepolitischen Funktionen von WikiLeaks fragen. Die politische Kommunikationsforschung hat dagegen die WikiLeaks-Effekte für die Gestalt politischer Öffentlichkeit im Blick. Auch die Regierungsforschung findet ihre Zugänge, etwa entlang des Konzepts der Informalität.

Und die Internationalen Beziehungen? Obwohl sich die WikiLeaks-Interventionen in Form der diplomatischen Kabel vorwiegend auf ihrem Terrain ereignet haben, scheint die IB-Analyse von WikiLeaks durchaus schwierig zu sein. Zumal auf der institutionellen Ebene seit den Enthüllungen vor gut einem Jahr nicht viel geschehen ist: noch immer besteht Konsens über einen Arkanbereich der Politik, der als Ressource zur Erhaltung von Strategiefähigkeit benötigt wird. Auch die durch das Leaking besonders hart getroffenen USA halten unverändert an ihrer „Staatsgeheimnispolitik“ fest und haben lediglich die Sicherheitsvorgaben für ihre Mitarbeiter verschärft. Inwiefern dies unter den Bedingungen digitaler Kommunikation in vernetzten Medienumgebungen eine clevere Strategie ist, werden die nächsten Lecks zeigen. Und die wird es geben.

Eine Antwort to “Wieder mal WikiLeaks”

  1. RSS-Reader-Roundup | 7. November 2011 | Bastian Dietz Says:

    […] Wieder mal WikiLeaks […]

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