The Primary Season That Wasn´t

Freitag, 26. Januar 2024

Ein Wahljahr in den USA folgt üblicherweise festen Regeln und Ritualen: Anfang Januar eröffnen die Diskussionsrunden des Iowa Caucus den Reigen der innerparteilichen Vorwahlen um die Kandidatur von republikanischer und demokratischer Partei, danach folgen in New Hampshire die ersten „richtigen“ Vorwahlen, die primaries. In den kommenden Monaten folgen nach und nach weitere Bundesstaaten, bis in den Juni hinein, der meist im März gelegene Super Tuesday mit einem ganzen Bündel von Vorwahlen ist dabei der heimliche Höhepunkt. Im Sommer dann folgen die party conventions, die Nominierungsparteitage, bevor im Spätsommer der eigentliche Wahlkampf beginnt, inklusive TV-Duellen, Wahlwerbespots, Social Media-Offensiven und sonstigen Schlammschlachten.

Noch ist Januar, und im Jahr 2024 ist es anders.

Ins kalte Iowa starteten mit Asa Hutchinson, Chris Christie, Ryan Binkley, Vivek Ramaswamy, Nikki Haley, Ron DeSantis und Donald Trump noch sieben republikanische hopefuls, während bei den Demokraten gar kein echter caucus stattfand. Erstmals wurde die Presidential Preference per E-Mail abgefragt, die Resultate dazu folgen erst am 5. März, dem Super Tuesday. Diese Schieflage ist nicht verwunderlich – Amtsinhaber Joe Biden gilt als der „natürliche“ Kandidat der democrats, eine echte Auslese findet vor einer möglichen zweiten Amtszeit kaum statt, allenfalls interne Kritiker:innen vom Parteienrand stören die Ruhe vor dem Hauptwahlkampf.

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#1550zeichen: 1980ff – Spirit of the Games

Sonntag, 25. September 2022

Folgt man den aktuellen Buchpublikationen zur „State of the City“, dann ist Los Angeles eine Stadt der erweiterten Gegenwart. Texte wie „City at the Edge of Forever“ (Peter Lunenberg) oder „Everything Now“ (Rosecrans Baldwin) verweisen auf die Gleichzeitigkeit verschiedener Dynamiken. Nach drei Monaten vor Ort kann ich dieser Wahrnehmung zustimmen – es fällt leicht, zwischen sehr zukünftigen Perspektiven (Olympia 2028, Klimawandel, Verkehrsinfarkt, homelessness als post-pandemisches Krisenphänomen etc.) und dem Blick zurück auf eigentlich Vergangenes zu wechseln (art deco– und mid century-Architektur, eine sehr lebendige Kino-Kultur (und ich meine nicht die Multiplex-Kisten, die es hier natürlich auch gibt)). An dieser Stelle kommt mein biografischer bias ins Spiel, denn es lässt sich hier gerade sehr gut in den 1980er-Jahren leben: im Radio laufen „The 80s on 8“ in hoher Rotation, zwischen Juli und September waren Soft Cell, Boy George, Duran Duran und Echo & the Bunnymen in der Stadt, das Wende Museum of the Cold War ist ein Ding und zur fortgeschrittenen Abendunterhaltung geht man in die Barcade – in dieser Kreuzung aus klassischer dive bar und Spielhalle stehen neben den notorischen Flipperautomaten alte Computerspielgeräte, an denen man für einen quarter eine Runde Pacman, Space Invaders oder Out Run spielen kann. Und warum auch nicht? Ja, ich weiß: Los Angeles als Zeitmaschine ist kein originelles Thema, aber es gibt nicht viele Orte, an denen das souveräne Nebeneinander verschiedener Schichten so gut gelingt wie hier.

#1550zeichen: LA Mayoral Debate

Donnerstag, 22. September 2022

Eigentlich hatte ich mir die erste (und vielleicht auch einzige) TV-Debatte zwischen Karen Bass und Rick Caruso, den Konkurrenten um das Bürgermeisteramt der City of Los Angeles, gerne vor Ort angesehen. Es war geplant, das Treffen an der UCLA durchzuführen, doch aus Sicherheitsgründen hatte sich die Universität zurückgezogen. Nun fand die Debatte im Skirball Cultural Center statt, gerade mal 20 Minuten vom San Remo Drive entfernt – und doch unerreichbar, denn die Veranstaltung war „closed to the public“. Also bin ich auf die TV-Übertragung ausgewichen. Die Veranstaltung war auf 60 Minuten angesetzt und wirkte wie eine Debatte im Zeitraffer: sehr kurze Zeitfenster für die Antworten (1 Minute – danach setzt alle paar Sekunden ein mahnendes „ping“-Geräusch ein), drei Interviewer (von den Organisatoren entsendete Journalisten) und ein schneller Schlagabtausch wesentlicher Soundbites aus den Wahlprogrammen. Nach 15 Minuten mischt sich das Format, im townhall-Stil kommt ein Studierender der Loyola Marymount University zu Wort und vergisst in der Hektik einen Teil seiner Frage. Das Wechselspiel zwischen Journalisten und Zusatzfragen aus dem Publikum setzt sich danach fort – auf diese Weise werden die zentralen issues des Wahlkampfs aufgerufen (homelessness, immigration, social housing, public safety, drug abuse…). Bass und Caruso versprühen dabei kein großes Charisma – aber wie soll das auch gehen? Die Hetzjagd durch die Themen macht das unmöglich, aber im Schnelldurchlauf bildet sich so das Themenpanorama der Wahl ab. Immerhin.

#1550zeichen: Wüstenklänge

Montag, 19. September 2022

Los Angeles liegt zwar am Pazifik, aber auch der Weg in die Wüste ist nicht weit. Klassische Anziehungspunkte sind der Joshua Tree National Park und das nahe gelegene Palm Springs – nach gut 90 Minuten Autofahrt (für Ortskundige: 405-10-60-10-62) geht der Betonanteil jenseits des Freeway deutlich zurück und allmählich öffnet sich die Landschaft. Für Ungeübte fühlt es sich an, als fährt man durch einen der einschlägigen Wüstenfilme, auch wenn der Zabriskie Point fast 200 Meilen entfernt ist. Aber auch die Steinhaufen bei Yucca Valley sind schon recht beeindruckend und die Joshua Trees sehen so merkwürdig aus wie man es sich vorstellt. Mittendrin befindet sich ein Ort, der von sich behauptet, wirklich nicht aus dieser Welt zu sein: das Integratron ist eine Mischung aus Oase, Esoterik-Zentrum, Klangraum, Architekturstudie und allgemeiner Verrücktheit. Erdacht und entwickelt wurde die frei im Feld stehende und vollständig aus Holz gebaute Kuppel von George van Tassel (der allerdings behauptete, Hinweise zur Konstruktion von Außerirdischen erhalten zu haben). Ursprünglich war der Bau als Jungbrunnen geplant, durch die Kombination der magnetischen Aufladung des Bodens und Elektrizität sollten Menschen mit negativen Ionen „beschossen“ werden – oder so ähnlich. Van Tassel starb kurz vor der Fertigstellung des Integratrons und nahm das Geheimnis mit in sein Grab. Heute wird die Struktur zum sound bathing genutzt, ein freundlicher Mitarbeiter bedient 20 Quartz-Klangschalen und erzeugt damit einen befremdlich-beruhigenden Soundteppich.

#1550zeichen: Osten (II)

Sonntag, 18. September 2022

Am 12. September habe ich im Rahmen der Verleihung des Einstein Award an einer Veranstaltung in der National Academy of Sciences (NAS) in Washington, DC teilgenommen. Die Zeremonie fand in der Great Hall der NAS statt, ausgezeichnet wurden mehrere Forscher:innen und Institutionen, die sich um die „Qualität der Forschung“ verdient gemacht hatten. Der Preisverleihung vorausgegangen waren eine Panel-Diskussion sowie ein luncheon in der Residenz der Deutschen Botschafterin – bei dem gesetzten Mittagessen diskutierten etwa 20 geladene Gäste. Den Takt gab dabei Botschafterin Emily Haber vor, als Hauptrednerinnen waren Marcia McNutt (NAS) und Julika Griem (DFG) am Start. Das Format ist interessant – während das Essen gereicht wurde, eröffnete die Botschafterin den Dialog und richtete immer wieder Fragen an die versammelte Runde, manchmal mit direkter Ansprache: „And this one is for the researchers at the table!“. Verhandelt wurden aktuelle Herausforderungen im Wissenschaftsbetrieb, etwa team science (in den USA schon ein stehender Begriff), Interdisziplinarität und, natürlich, die digitale Transformation. Auch der Bereich open science wurde angesprochen, aber hier waren die Perspektiven noch keineswegs klar. Während für einige die publicness von Forschungsergebnissen dafür schon ausreichte, verwiesen andere auf die eingeschränkte accessability von absurd teuren Journal-Beiträgen. Und auf die Frage, wie in Zukunft mit den großen Datenmengen umgegangen werden soll, die durch digital methods anfallen, hatte noch niemand eine Antwort.

#1550zeichen: Osten (I)

Samstag, 17. September 2022

Vom 7. September an war ich auf Dienstreise an der Ostküste – die erste Station war New York, das nach zwei Monaten in Los Angeles noch vertikaler wirkt als in der Erinnerung. Reiseanlass war die Teilnahme am Transatlantic Media Forum, das vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (Leonhard Novy!) entworfen und geplant, von der Stiftung Mercator (Carla Hustedt!) gefördert und in den Ideen-Räumen von tenfourteen (Benjamin Bergner!) durchgeführt wurde. Bei der Veranstaltung habe ich in einem kurzen Eröffnungs-Statement mit dem Titel Divisions Everywhere über meine Fellow-Erfahrungen rund um das Thomas Mann House berichtet. Entstanden ist dabei ein kurzer Text, der sich vom San Remo Drive aus langsam in Richtung Westen bewegt und ausgewählte „Teilungen“ im US-amerikanischen Alltag thematisiert – es geht um wohnen, arbeiten, Verkehr, Wetter, Werte, Politik und die Midterm Elections. In der anderen großen US-Metropole (sorry, Chicago) ist mir die dort sehr erträgliche Gleichzeitigkeit des Seins aufgefallen. Während des Forums wurden die letzten Vorbereitungen für die Wolfgang Tillmans-Ausstellung im MOMA getroffen, am Abend kam Masha Gessen für ihre Keynote auf dem Fahrrad an der 5th Avenue vorbei, bevor sie zurück zum Journalismus-Kongress an der Columbia University fuhr. In den Hudson Yards standen die Influencer bei der Fashion Week Schlange, und im Madison Square Garden saß ein alter weißer Mann am Klavier, während in Queens bis spät in die Nacht um die US Open gekämpft wurde – New York, New York, big city of dreams.

#1550zeichen: Bäume

Montag, 5. September 2022

Aktuell leidet Südkalifornien unter dem heat dome, einer Extremwetterlage, die für einen Zeitraum von mehreren Tagen (sehr) heiße Luft in der Region um Los Angeles verankert. Während es an der Küste bei Temperaturen um 35 Grad noch halbwegs erträglich ist, deutet sich in den etwas weiter inland gelegenen Regionen an, welchen Strapazen die Menschen dort in den nächsten Jahren immer häufiger ausgesetzt sein werden: Hitze von mehr als 40 Grad Celsius, kein Regen, ausgetrocknete Flüsse und Seen, extreme Brandgefahr. Und – wenig Schatten, denn der Baumbestand ist überschaubar. Das kann man von West-LA kaum behaupten, in den wohlhabenden Vierteln leisten die Landschaftsarchitekten ganze Arbeit und installieren Waldlandschaften im Kleinstformat. Einen Überblick zur grünen Lage der Stadt bietet ein Blick auf die Daten zum tree canopy, dem Baumbestand des Los Angeles County, der über die Website der TreePeople eingesehen werden kann. Die Umwelt-Aktivisten nutzen gemeinsam mit Forscher:innen verschiedener Hochschulen offene Daten. Unterschiedliche Darstellungen erlauben den Blick auf den aktuellen und den potenziellen Baumbestand, eine Storymap erläutert die unterschiedlichen Schärfegrade des Datenmaterials. Nur wenig hilfreich für das tree canopy ist ausgerechnet die Signatur-Pflanze der Stadt, die Washingtonia robusta. In großer Zahl in den 1930er Jahren an verschiedenen zentralen Straßenachsen der Stadt angepflanzt, sehen sie zwar nach wie vor sehr elegant aus, haben aber einen großen Fehler: sie spenden so gut wie keinen Schatten.

#1550zeichen: Review of LA Books

Donnerstag, 25. August 2022

Einen wichtigen Impuls zu meinem Forschungsprojekt hatte die Lektüre des Stadtsoziologie-Klassikers City of Quartz von Mike Davis geliefert, in seiner Idee von den „Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles“ (1990) habe ich die Über-Referenz für meine Untersuchungen zur Smart City gesehen. Davis ist noch immer ein sehr großer Name und zuletzt hat man auch viel von ihm gelesen – leider auch, weil er sehr krank ist und jedes Interview das letzte sein könnte (Davis selbst hat dazu ein sehr nüchternes Verhältnis). Zum Einstieg in das Fellowship habe ich die stadtbezogene Lektüre noch etwas vertieft und mir mit Reyner Banhams The Architecture of four Ecologies einen weiteres altes Buch (im Original von 1971) vorgenommen. Doch natürlich gibt es auch neue Texte, die den Versuch unternehmen, Los Angeles in Worte zu fassen. Dass das kompliziert ist, zeigen bereits deren Titel: Während Peter Lunenfeld eine City at the Edge of Forever beschreibt, geschieht für Rosecrans Baldwin Everything Now. Die neueren Texte wirken eher anekdotisch, eilig und sprunghaft, während die älteren Bände sehr viel ruhiger, analytischer vorgehen. Auch wenn Lunenfeld und Baldwin die „Stadt“ aus ihrer gegenwärtigen Anschauung und Erfahrung beschreiben, so habe ich dennoch den Eindruck, dass Banham und Davis ihr Los Angeles präziser gesehen und besser verstanden haben. Vermutlich erfordert diese Aufgabe sowohl die Distanz der wissenschaftlichen Perspektive als auch die Unmittelbarkeit des eigenen Erlebens. Kurz: es ist einfach eine unmögliche Stadt, dieses Los Angeles.

#1550zeichen: Slacker (1990 and beyond)

Dienstag, 23. August 2022

Dass das Kino in Los Angeles noch Konjunktur hat, habe ich schon berichtet. Hier nun ein Nachtrag zu einem Klassiker aus den sehr frühen 1990er Jahren – Richard Linklaters Slacker hat bei der erneuten Sichtung eine deutliche Wirkung hinterlassen. Der ästhetisch wie erzählerisch überaus mutige Film mit und über die Generation X lässt sich auch mehr als 30 Jahre nach seiner Uraufführung sehr gut ansehen, sofern man sich darauf einlässt. Eine Handlung im klassischen Sinne gibt es nicht – das handover zwischen den einzelnen, im als Kulisse inszenierten Stadtraum von Austin (Texas) miteinander verbundenen Szenen addiert sich zu einem Panorama studentisch-philosophischen Lebens vor der Jahrtausendwende. Besonders auffällig wirkt dabei die Rolle von Medien nach, denn im Alltag gibt es kein Internet, Mobiltelefone ebensowenig, so dass alle unmittelbar miteinander reden müssen. Und dennoch spielen Medien aller Art eine enorm wichtige Rolle für die slacker: in der Szenenfolge des Films spielen Postkarten, eine Schreibmaschine, ein Buchladen, der Umgang mit Zeitungen, die Nutzung von Kassetten- und Videorekorder sowie der Fernseher als Alltags- und Kunstobjekt eine wichtige Rolle. Zugleich fällt auf, dass die Protagonist:innen der Filmsequenzen nicht über die mediale Standardausstattung von heute verfügen – statt Text- oder Videonachricht, Social Media-Post werden aktuelle Befindlichkeiten im direkten Gespräch geäußert. Der persönliche Dialog von Angesicht zu Angesicht ist der soziale Standard, ein wirklich großer Unterschied zu heute…

#1550zeichen: Wählen (alt & neu)

Montag, 22. August 2022

Seit Wochen laufen in den USA die verschiedensten Vorwahlen für die Midterm Elections im November. Zuletzt hat etwa die primary-Niederlage von Liz Cheney gegen ihre von Trump gestützte Kontrahentin Harriet Hageman im Vorwahlkampf um den Kandidatenplatz der republikanischen Partei in Wyoming gesorgt: Cheney ist vice chair in der sehr präsenten Anhörung zum 6. Januar. Solche Personalentscheidungen interessieren mich aktuell weniger als der Umgang mit Wahltechnologien. Eine wichtige Rolle spielt dabei in Kalifornien das Office of Voting Systems Technology Assessment (OVSTA) – diese Behörde zertifiziert Wahlgeräte, ist aber auch für die Herstellung und Verteilung von Stimmzetteln zuständig. Der Bundesstaat rühmt sich für die striktesten Wahlgesetze in den USA, bemüht sich aber auch intensiv um Updates im Wahlprozess. Das führt zu detaillierten Bewertungen verschiedener Verfahren – dabei geht es nicht um die plumpe Übertragung der klassischen Urnen- in eine wie auch immer geartete „Digitalwahl“. Zuletzt wurde ein Antrag aus San Francisco für ein Pilotprojekt behandelt, das prüfen sollte, ob das neue System ein Präferenzwahlverfahren digital abbilden kann. Im Zuge des Verfahrens kam OVSTA zu dem Ergebnis, dass das open source konzipierte System den staatlichen Anforderungen noch nicht standhält – und lehnte den Antrag ab. Dieser Fall ist doppelt spannend, nicht nur wegen des verhandelten Gegenstandes, sondern auch durch den strukturellen Rahmen: denn auf Einrichtungen wie die OVSTA müssen wir in Deutschland wohl noch lange warten.